Die geforderten Dokumente für die Antragstellung zum 8. Juli 1957


Am 18.01.1960 wird für die Bearbeitung die „Ausfertigung eines Erbscheines für Antragstellerinnen“ verlangt. "Dies ist ein "gemeinschaftlicher beschränkter Erbschein. - Nur gültig für das Entschädigungsverfahren"  heißt es in einem Schreiben vom Amtsgericht Wiesbaden.  Er ist nötig, damit der Anspruch auf Entschädigung auf ihre Erben übergehen kann, das heißt die oder der Verfolgte- der sogenannte Erblasser -  von ihren Kindern, den Antragstellerinnen, beerbt werden kann.  

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Zur Antragstellung müssen die Schwestern neben lebensgeschichtlichen Angaben, auch Belege über die Abschiebung der "verschollenen" Angehörigen und deren Verbleib finden. 

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Nach der Ausweisung nach Polen bestanden zunächst noch Kontakte zwischen den Familien. Es handelte sich durch das Rote Kreuz vermittelte Kurznachrichten: "Nach einem kurzen Aufenthalt im Flüchtlingslager Zbączyń (Bentschen) begaben sich meine Eltern, meine beiden Geschwister nach Warschau, wo sie anfangs bei Verwandten wohnten" berichtet Esther. „Als Wohnsitz oder dauernder Aufenthalt bei Beginn der Freiheitsentziehung oder der Freiheitsbeschränkung“ nennt Regina Rosenthal in ihrer eidesstattlichen Erklärung „Falenica bei Warschau, Ulica Wiesjka 11/Kreis Warschau, Polen." Über die Einweisung der Familie ins Ghetto liegen keine genaue Daten vor. Ob Falenica bereits ein Teil vom Warschauer Ghetto war oder später dazu gemacht wurde, bzw. die Familie Ebe später dorthin umziehen musste, bleibt offen. 


Nach der Kriegserklärung Deutschlands an Polen am 01.09.1939 begann bereits  am 04.09.1939 der Einmarsch der Deutschen in Polen. Die jüdische Bevölkerung wird bald in den eroberten Städten in Ghettos umgesiedelt, später dann in die Ghettos der größeren Städte deportiert. Das Ghetto in Warschau bestand vom Oktober 1940 bis Mai 1943. Bereits am 02. Oktober befahlen die Deutschen allen jüdischen Einwohnern der Stadt innerhalb von sechs Wochen den Umzug in das  Gebiet westlich vom Zentrum, dort mussten die nichtjüdischen Bewohner ihre Wohnungen verlassen. Das Warschauer Ghetto wurde ab der Nacht vom 15. auf den 16. November 1940 (…) mit einer 18 Kilometer langen und 3 Meter hohen Umfassungsmauer abgeriegelt. Das Warschauer Ghetto war das bei weitem größte Sammellager dieser Art. Es wurde Mitte 1940 im Stadtzentrum von Warschau, westlich der Altstadt im Stadtteil Wola zwischen Danziger Bahnhof und dem alten Hauptbahnhof Warszawa Główna und dem Jüdischen Friedhof errichtet. Hierher wurden vor allem Juden aus ganz Warschau, aus anderen unter deutscher Kontrolle stehenden polnischen Regionen sowie aus dem deutschen Reichsgebiet und den besetzten Ländern deportiert. Hier wurden teilweise circa 450.000 Jüdinnen und Juden interniert. Das Ghetto wurde von den Besatzern wiederholt brutal verkleinert. Bei den verbliebenen Ghettobewohnern wuchsen täglich Unsicherheit und Bedrohung. (https://de.wikipedia.org Das Warschauer Ghetto)

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Für die Antragstellung werden von den Schwestern Belege über den Zeitpunkt der Freiheitsberaubung verlangt. Noch bis Juli 1942 erhält Regina durch Vermittlung ihres Vetters Josef Nasilewicz aus einem Schweizer Internierungslager Nachrichten aus Polen. "Dann hörte jede Verbindung auf", schreibt Regina in ihrer Erklärung. Zwei Postkarten sind als Beweismittel aufbewahrt: eine von Familie Rosenthal vom 19.05.1941; eine von Familie Ebe vom 13.08.1941. Auf ihre Anfrage teilt ihr die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland in Frankfurt am Main mit, dass die Verfügung für alle Juden im Ghetto zu leben, kurz nach dem Einmarsch der deutschen Truppen erlassen wurde und dass ab 19.02.1940 die Verpflichtung zum Tragen des Judensterns bestand. Ferner erfahren sie, dass die Zerstörung des Warschauer Ghettos im April 1943 bis Anfang Mai 1943 stattgefunden hat.

Auch den Todeszeitpunkt müssen die Schwestern belegen. Die Anfrage zum Tode der „Deportierten“ ist am 23.05.1957 beim ITS (Internationaler Suchdienst) in Arolsen, der durch Betreiben der Vereinten Nationen 1946 dort eingerichtet wurde, um die Schicksale der Vermissten, Gefangenen und Verschleppten aus der Zeit der NS-Herrschaft und des Zweiten Weltkrieges aufzuklären, gestellt worden. Die Antwort trifft am 12.12. 1957 ein. „Meine Nachforschungen nach ihnen durch den Internationalen Suchdienst in Arolsen und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V. Frankfurt a/M., Hebelstr. 17 waren ergebnislos,“ heißt es in der eidesstattlichen Erklärung von Regina Rosenthal im Dezember 1958. - All das ist emotional sehr belastend. Wann und unter welchen Umständen ihre Angehörigen umgekommen sind, ist nicht dokumentiert. - Henry erzählt bei unserem Treffen in Frankfurt 2018, er wisse, dass sein Großvater Abraham im Ghetto an Typhus verstorben sei. - Die Auflösung des Warschauer Ghettos wurde ab Juli 1942 systematisch durchgeführt. Entweder verstarben die Angehörigen dort, oder wurden von dort direkt ins Vernichtungslager Treblinka oder Majdanek transportiert. Allein im Vernichtungslager Treblinka wurden vom Juli bis November 1943 mindestens 700.000 bis zu 1.1 Millionen Menschen umgebracht.

Die letzte Nachricht von Familie Ebe

Anfrage der Rosenthals vermittelt durch den Vetter Josef Nasilewicz/Internierungslager Pollegio/Schweiz    

Leo (geb. 07.03.1918) und Rosa (10.08.1914) Todesdatum unbekannt - aufgenommen circa 1941 im Warschauer Ghetto (zur Verfügung gestellt von Henry Rosenthal)

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