Die Korrespondenz der überlebenden Schwestern der Familie Ebe und den Entschädigungsbehörden


Im folgenden werden anhand der Akten die einzelnen Schritte der überlebenden Angehörigen der Familie Ebe nachgezeichnet, die sie ab 1957 unternehmen, um von der Bundesrepublik eine Anerkennung  für das begangene Unrecht an ihrer Familie – Mutter und Vater, Schwester und Bruder - zu erkämpfen. Die Korrepondenz zwischen den Schwestern und den Behörden, die sich über mehr als ein Jahrzehnt hinzieht wird ausführlich wiedergegeben. Dies soll uns zeigen, wie verzweifelt  die Schwestern bemüht sind, ein Zugeständnis von Deutschland für das an ihrer Familie begangenene Verbrechen zu erhalten. 


Die Akten für die „in der Deportation verschollen(en)“ befinden sich im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden. Auf ihnen steht das Aktenzeichen, der Name der betroffenen Person, Geburtsdatum, Geburtsort und als Sterbedatum der 08.05.1945 – das Kriegsende. Auch die Antragstellerin und die Laufzeit der Akte ist notiert, ebenso ist: AUSLÄNDER und Erledigt mit Datum darauf gestempelt, daneben auch ein Krückenkreuz als Zeichen für verstorben.


Insgesamt haben die vier Akten mehrere Hundert Seiten. Da die Akten sich teilweise argumentativ aufeinander beziehen, Nachweise über biographische Dokumente wie Geburts- und Heiratsurkunden, Zeugnisse, eidesstattliche Erklärungen und Bescheide als Kopien oft  in mehreren Akten vorhanden sind, reduziere ich die Fußnoten und verweise nur – undifferenziert - auf die Archivnummer.- Die Schreibweise der Eigennamen differiert. So heißt Rosa in den Bescheiden oft Rosi(e), Mary Halberstadt wird auch Halberstad geschrieben. - Akten, deren Laufzeit noch nicht beendet ist, sind nicht einsehbar. Da die vier Personen alle verstorben sind, habe ich Akteneinsicht. Später sehe ich, dass auch Anträge von Regina Rosenthal, der ältesten Tochter der Familie Ebe, und ihren Ehemann, Willy Rosenthal, und für den gemeinsamen Sohn Henri (Hermann) Rosenthal, geboren 1930 in Frankfurt, auf das eigene erlittene Unrecht, vorliegen. Des weiteren existiert auch ein Antrag von Esther Clifford (Kleczewski, Esther, geb. Ebe), in der sie für das an ihr begangene Unrecht auf Entschädigung klagt. Diese Akte ist 2017 noch unter Verschluß, da Esther, wie ihr Sohn Allen Clifford/New York schreibt, noch lebt. Die Schutzfrist der Akten beträgt 100 Jahre; und 10 Jahre über das Sterbedatum hinaus.


Anlass für die Anträge der Antragstellerinnen ist das Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer nationalsozialistischer Verfolgung (Kurztitel: Bundesentschädigungsgesetz, Abkürzung: BEG), das „am 29. Juni 1956 rückwirkend zum 1. Oktober 1953 in der Bundesrepublik verabschiedet (wurde), nachdem die ursprüngliche Vorlage vom 18. September 1953 keine Berücksichtigung gefunden hatte.“ (https://de.wikipedia.org Bundesentschädigungsgesetz) In Kraft getreten ist es am 1. Oktober 1953.


Das Gesetz gewährt Personen, die während der Zeit des Nationalsozialismus aus politischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und dadurch Schäden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum oder Vermögen, sowie im beruflichen oder wirtschaftlichen Fortkommen erlitten haben - eine Entschädigung in Geld. „Es ist Teil der deutschen Wiedergutmachungspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg.“(https://de.wikipedia.org Bundesentschädigungsgesetz)


„Zahlreiche Einzelbestimmungen waren kompliziert. Ein entscheidendes Kriterium bildete die Wohnsitzvoraussetzung. Antragsberechtigt waren Verfolgte des NS-Regimes, die bis zum 31. Dezember 1952 (bisher Januar 1947) ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland oder West-Berlin hatten, oder die vor ihrem Tod oder ihrer Auswanderung dort gelebt hatten. - Damit waren alle Verfolgte aus dem Ausland von der Entschädigung ausgeschlossen.“ (https://de.wikipedia.org Bundesentschädigungsgesetz) Wie bereits dargestellt, waren die überlebenden Schwestern Esther, Regina und Mary und die Getöteten der Familie Ebe, alle – die Eltern seit 1911 - in Deutschland wohnhaft gewesen. Von daher erfüllen sie das Kriterium der „Wohnsitzvoraussetzung“.


„Viele Verfolgte unterließen einen Entschädigungsantrag auch aus Angst, durch das Entschädigungsverfahren Erinnerungen an die (...) erlittenen Qualen erneut durchleben zu müssen. Andere wollten deutschen Behörden gegenüber nicht als Bettler auftreten oder sich auf die ehemaligen Verfolger einlassen.“ (https://de.wikipedia.org Bundesentschädigungsgesetz) Mit bedacht werden muß also die psychische und physische Disposition der Antragstellerinnen der Familie Ebe, die geprägt ist von den Erlebnissen nach der Machtergreifung. Die traumatischen Erlebnisse in der NS-Zeit haben tiefgreifende Folgen; die Antragstellung reaktiviert - wie oben erwähnt - durchlittene Leiden. Wir werden sehen, wie der Kampf um „Entschädigung“ für die Ermordeten das Leben der überlebenden Schwestern lebenslang zermürbt.


Esther, die jüngste der Antragstellerinnen, lebt bei der Antragstellung 1957 traumatisiert, in großer finanzieller Not und körperlich gezeichnet in den USA. Ihre Bedürftigkeit bringt sie dazu, die Dringlichkeit ihres Antrags zu betonen.In einem Schreiben an den Regierungspräsidenten in Wiesbaden vom 6.3.1958, verfasst im Deutschen Generalkonsulat in New York, wendet sie sich mit der Bitte um Vorschuss auf die von ihr gestellten Entschädigungsanträge für ihre umgebrachten Verwandten. Das Deutsche Generalkonsulat in New York bescheinigt ihre Notlage. Sie hat ein monatliches Einkommen von knapp 250 $ für ihre kleine Familie - für sich, ihr Kind und ihren Mann. (Er, Rudi Clifford, verdient monatlich $ 247,75; 250 $ ist das Existenzminimum.) Im Antrag bittet sie u.a. um eine Waisenrente, da sie sich als Vollwaise sieht. Dies wird abgelehnt, da sie schon am 02.04.1942 mit Rudi Kleczewski in England verheiratet gewesen sei. (Später nahmen die Eheleute den Namen Clifford an.)


Ein Attest von Dr. Jérȏme Kamlet, M.D, New York vom 27.6.1966 bescheinigt: „Infolge von Verfolgungen ihrer Familie hat Mrs. Esther Clifford 1946 einen vollständigen geistigen Zusammenbruch erlitten, der es erforderlich machte, dass sie zwei Jahre in einer Institution behandelt wurde. Ihr Befinden hat sich gebessert, sie hat jedoch weiter unter schwerer Angst und Nervosität mit emotionalen und psychosomatischen Anzeichen gelitten. (…) Auf dieser Basis würde ich sie als 50 % erwerbsunfähig bezeichnen. Es besteht kein Zweifel, dass Mrs. Clifford‘s jetziger Zustand zum größten Teil direkt mit der unmenschlichen Behandlung von Seiten der seinerzeitigen Nazi-Regierung von Deutschland während der erwähnten Zeitspanne zusammenhängt.“ (Unterzeichnet von Drst. Jérȏme Kamlet M. D. in Akte HHStAW 518, 89033 Regina Rosenthal)


In einem weiteren Schreiben von Dr. Jérȏme Kamlet vom 8.9.1967, adressiert ans Deutsche Generalkonsulat/New York, spricht er von der „bestialischen Behandlung, die Mrs. Clifford durch die deutsche Regierung zuteil wurde, dem geistigen Zusammenbruch, den nachfolgenden chronischen, emotionellen Schwierigkeiten.“ Sein Kommentar: „Die Schwierigkeiten, die die jetzigen Inhaber derselben deutschen Regierung bereiten, ehe sie Wiedergutmachung gewähren, tragen wahrscheinlich noch zu Mrs. Clifford‘s emotionalen Schwierigkeiten bei.“


Auch ihre Schwester Regina Rosenthal, die bereits im Mai 1933 mit ihrem Ehemann Willy (Chil), ihrem dreijährigen Sohn Hermann (Henri) und der Familie ihres Mannes nach Frankreich geflohen war und dort untertauchen musste, ist traumatisiert. In ihrem eigenen Entschädigungsantrag vom 23.7.1957, erfahren wir, dass Regina Rosenthal unter den schrecklichen Bedingungen während des Krieges ihr Leben lang gelitten hat. In den vorhandenen Akten – Ende der Laufzeit der Akten der 11.11.2002 – ihrem Todestag -, stellen die amtsärztlichen Gutachten der Ärzte eine Fehlsteuerung des Nervensystems fest, sie sprechen von neuropsychiatrischen Zügen. (Amtsärztliches Gutachten von Dr. H. Rupp, Wiesbaden, in Akte HHStAW 518, 89033 Regina Rosenthal, S. 91-93.)


Problematisch war auch die gesetzte Antragsfrist vom 1. Oktober 1957. Die Verfolgten waren weltweit verstreut und es war für sie schwierig, schnell genug an die notwendigen Unterlagen heranzukommen. Wie viele andere, sind die überlebenden Angehörigen der Familie Ebe im Jahre 1957 weit verstreut: Regina Rosenthal lebt in Frankreich, Esther und Mary in den USA. Die Kommunikation unter ihnen ist erschwert. Schwierig bzw. fast unmöglich ist es, so werden wir weiter unten sehen, die erforderlichen Unterlagen in der zugestandenen Zeit - bis zum 1 Oktober 1957 - zu besorgen.


Schon bald zeigte sich, dass die Fristenregelung - Antragsfrist zum 1. Oktober 1957 - unrealistisch ist. So mußte das Gesetz aufgrund der Erfahrungen nach und nach modifiziert werden. Von der ersten Modifizierung des Gesetzes 19651 können, so werden wir weiter unten sehen, auch die Schwestern profitieren, um nach der Ablehnung der Forderungen für Rosa und Leo Anträge erneut zu stellen.


In jahrelangem Briefwechsel mit dem Regierungspräsidenten in Darmstadt (Entschädigungsbehörde) und der Entschädigungsbehörde in Wiesbaden – im Folgenden E.B. genannt -,  bitten Esther Clifford und Regina Rosenthal höflich um Anerkennung des erlittenen Unrechts. Immer ist in ihren Anträgen von den „verstorbenen“ oder „verschollenen“ Eltern oder Geschwistern die Rede, nie von den durch die Nazis „ermordeten“. - Es scheint, als müssten sich die Schwestern legitimieren, dass sie Opfer sind und, darüber hinaus, wer sie sind. Esther Ebe, verheiratet mit Rudi Kleczewski am 02.04.1942 in London/Hampstead, später umbenannt in Clifford, gibt u.a. den Ausbildungsstand ihres Mannes an, der einen Bachelor hat. Regina Rosenthal legt einen Stammbaum vor. Schulzeugnisse der ermordeten Geschwister werden beigefügt; Zeugenaussagen früherer Lehrkräfte werden mühsam eingeholt. - Die zweitälteste Tochter der Familie Ebe, Mary, seit dem 15. Oktober 1935 verheiratet mit Arthur Halberstadt, mit dem sie seit 1935 in München lebte, und die sich Ende 1938 mit ihrem Ehemann durch ein Visum nach Shanghai retten kann, tritt in den Anträgen, außer durch Dokumente und ihre eidesstattliche Unterschrift nicht auf, da ihr letzter Wohnsitz in München war. Eventuell wurden da Entschädigungsansprüche angemeldet.


Erinnern wir uns: Etwa 1911 zieht das Ehepaar Abraham und Selda Ebe mit den Töchtern Regina und Mary wegen der Pogrome in Polen und der besseren Schulausbildung für ihre Kinder nach Deutschland. Zahlreiche Verwandte leben bereits in u.a. Hannover. Dort in Deutschland wird die dritte Tochter Rosa, der Sohn Leo und später Esther geboren. Nach mehreren Versuchen, sich in Deutschland anzusiedeln, lebt die Familie seit 1921 in Frankfurt. Die beiden älteren Schwestern ziehen nach ihrer Heirat fort von der Familie. Am 29.10.1938 werden im Rahmen der „Polenaktion“ ]die fünf in Frankfurt lebenden Mitglieder der Familie - Abraham und Selda, die Kinder Rosa, Leo und Esther - durch die SS abgeholt und im Zug bis kurz vor die polnische Grenze nach Zbąszyń/Bentschen gebracht. Zum Zeitpunkt der Deportation sind Abraham und Selda Ebe circa 54 Jahre, Rosa 24, Leo 20 und Esther 18 Jahre alt.- Esther, die Jüngste, wird nach der Deportation der Familie im Oktober 1938 an der Grenze wegen des Fehlens eines eigenen Passes von der Familie getrennt und kehrt nach Frankfurt/Main zurück. Nach unruhiger Zeit dort, wechselnden Unterkünften, mit der immerwährenden Sorge um die Eltern und Geschwister, gelingt es ihr, sich mit dem Visum ihrer Freundin Hertha Hahn Anfang 1939 nach England zu retten. (Zuletzt ist sie – das geht aus den Akten hervor - gemeldet bei Familie Hahn in der Telemann Str. 20 in Frankfurt.)  Zu der Sorge um die Deportierten, kommt die um die von München nach Shanghai geflüchtete Schwester Mary, verheiratete Halberstadt, und die nach Frankreich geflüchtete Schwester Regina, verheiratete Rosenthal, und deren Familien hinzu.


Lange bleibt die Ungewissheit bestehen, was mit den vier deportierten Familienangehörigen geschehen ist. Nach 1945 müssen sie allmählich begreifen, dass die Eltern und die beiden Geschwister tot sind. Wo und wie sie ermordet wurden, oder ob sie zuvor elendig zugrunde gegangen sind, wird niemals geklärt werden. Darüber hinaus erfahren sie, daß zahlreiche weitere Verwandte, Freunde und Bekannte umgebracht wurden. Bei Esther kommt die Gewissheit dazu, dass ihre Freundin Hertha Hahn, mit deren Visum sie sich nach England hat retten können, kurz danach mit ihrer Familie deportiert und umgebracht wurde. Auch erfährt sie, dass ihre Schwiegereltern Max Kleczewski und Hedwig Kleczewski, geb. Fleischmann, Berlin, deportiert und umgebracht wurden.


Die gesetzte Antragsfrist ist auf den 1. Oktober 1957 festgelegt. Da die Antragstellerinnen Mary Halberstadt und Esther Clifford in den USA und Regina Rosenthal in Frankreich/Paris leben, ist es schwierig, schnell genug die geforderten Belege zu beschaffen. Vieles muss notariell übersetzt und beglaubigt werden. Verlangt werden von den Antragstellerinnen für die zuvor von den Nationalsozialisten ermordeten Familienmitglieder u.a. Dokumente wie Geburts- und Heiratsurkunden, Wohn-, Schul- und Ausbildungsnachweise, Zeugnisse,  Angaben über Einkommen, Bescheinigungen über die Deportation der Angehörigen nach Polen, ihre Einweisung ins Warschauer Ghetto, sowie den Nachweis ihres Todes und des Todeszeitpunkts. Aber auch Erbscheine von den zuvor Ermordeten!


Die meisten Unterlagen sind verschollen oder vernichtet. Dokumente wie Wohnungs- und Einkommensnachweise müssen mühsam eingeholt werden. Vielfach sind Ämter und Archive im Laufe des Krieges bombadiert und zerstört worden. Andere Dokumente wie Erbscheine, die Beweise des Zeitpunkts ihrer Freiheitsberaubung und des Todes müssen erstellt werden. Die Beschaffung von Dokumenten über die Einweisung ins Ghetto, des Todesnachweisesund des Todeszeitpunkts, die für die Berechnung der Länge der Freiheitsberaubung der vier Deportierten verlangt werden, ist kompliziert,nahezu unmöglich und emotional sehr belastend für die überlebenden Schwestern. - Viele Dokumente müssen auf Nachfrage nachgereicht werden.


Ergänzt sei, dass die Schwestern nach dem BEG als Kinder der „Erblasser“ - jemand, der bei seinem Tod eine Erbschaft hinterlässt - als Erbinnen der 1. Ordnung gelten. Als Geschwister von Rosa und Leo sind sie Erben der 2. Ordnung. Auf sie geht deshalb nach § 140 Abs.1 BEG der Anspruch wegen „Schadens in der Ausbildung“ von Rosa und Leo über; andere Ansprüche, wie Entschädigung an „Schaden an Freiheit, Eigentum“ etc. jedoch nicht. (Zu den Gesetzen siehe Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz – BEG) auch unter www.gesetze-im-Internet.de)



Die Antragstellung im Juli 1957


Der „Entschädigungsantrag“ für die „in der Deportation verschollenen“ Familienmitglieder wird am 08. Juli 1957 von Esther Clifford/New York gestellt. Beigefügt sind eidesstattliche Erklärungen der beiden Schwestern Regina Rosenthal/Paris und Mary Halberstadt/New York. Gestellt ist er also gut ein Jahr nach der Verabschiedung des Bundesentschädigungsgesetzes vom 29.6.1956.


Im Antrag vom 08. Juli 1957 sind in allen Schreiben jeweils die Antragstellerinnen aufgeführt:


1) Esther Clifford, geb. am 05.12.1920 in München, Putzmacherin, wohnhaft in: 652 West 163rd Street, Apt. 29 New York 32 N.Y. USA


2) die Hausfrau Mary (Sura-Mirjan) Halberstadt, geb. Ebe, geb. am 15.4.1911 in Warschau, wohnhaft: 665 West 160thStreet, New York. USA


3) die Hausfrau Regina Rosenthal, geb. Ebe, geb. am 13.12.1908 in Warschau, wohnhaft: Paris 18e/ Frankreich, Boulevard Ornano 38


Als rechtliche Vertreter der Schwestern wird u.a. RA. Zalkind, Advocat a la Cour, Paris; RA. Dr. Charles Rosenberg, Paris; RA. Martin Gur Guttmann, Frankfurt; RA. Dr. Volmer und Dr. Reichmann, beide Wiesbaden, genannt.


Folgende Ansprüche sind im Formular des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) zu Abraham Ebe mit  ja gekennzeichnet:


1) Schaden an Leben („Lebensschaden“ )(wenn der Verfolgte durch national-sozialistische Gewaltmaßnahmen getötet oder an den Folgen solcher Maßnahmen verstorben ist)                        ja


2) Schaden an Körper und Gesundheit....................................


3) Schaden an Freiheit (...) durch Freiheitsentziehung oder Freiheitsbeschränkung     ja


4) Schaden an Eigentum (§§51-55, 146)       ja


5) Schaden an Vermögen („Vermögensschaden“)(§§ 56 -58, 146)        ja


6) Schaden durch Zahlung von Sonderabgaben, Geldstrafen, Bußen und Kosten (§§ 59 -63, 153 )


7) Schaden im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen („Ausbildungsschaden“) (§§ 64-137)


a) im beruflichen Fortkommen (§§65-125)                                                                                        ja

b) im wirtschaftlichen Fortkommen (§§ 127 -137)

Rückwanderer (Soforthilfe, § 141)


Es sind zu seinem Antrag 14 Anlagen beigefügt:


Schilderung der Verfolgung (Not & kons. Begl. siehe Anl. S.V. A. E. Unbedenklichkeitsbescheinigung Finanzamt Ffm. - Aussenbezirk


dto des Oberbürgermeisters – Steuerverwaltung Frankfurt…


Not. & konsl. begl. „eidesstattliche Erklärung des Zeugen Erbesfeld.


Ergänzungsfragebogen. „C“ Ernest I. Erbesfeld


dto „D“


dto „E“


Not. Und kons. begl. Erbeslegitimation (Bescheinigung Reg. Nr. Deutsches dazugehörig: Generalkonsulat


Kons. begl. Abschrift aus dem Familienstammbuch für die Familie Rosenthal, Heiratsregister Nr. 1193/I, woraus Geburtstag für Regina (Rywka) Rosenthal geb. Ebe ersichtlich sind.


Kons. begl. Fotokopie des Heiratsscheins, Heiratsregister, Nr........woraus die Geburtsdaten von Mary (Sura-Mirjan) Halberstadt ersichtlich sind.


Kons. begl. Fotokopie der Geburtsurkunde Esther (Berta) Ebe, geehelichte Kleczewski, Name geändert in  Clifford


Kons. begl. Fotokopie der engl. Heiratsurkunde für Esther Clifford


Kons. begl. Vollmacht für Frau Esther Clifford von Regina Rosenthal


„ „ „ „ „ von Mary Halberstadt


Unter den Anlagen ist auch jeweils die konsularisch beglaubigte Vollmacht für Esther Clifford von Mary Halberstadt vom 14. März 1957 (New York) und Regina Rosenthal vom 27.02.1957 (Paris) beigefügt.


Die Durchsicht der in Wiesbaden befindlichen Akten zur Abraham Ebe zeigt, dass der Antrag zu ihm ein allgemeines Formular und fünf weitere bunte Formulare zu den 5 spezifizierten Einzelanträgen zu „Schaden auf...“ enthält: das 4seitige in Dunkelgelb zu „Schaden an Eigentum“, 4seitige in Hellgelb zu „Schaden an Freiheit“, 4seitige in Grün zu „Schaden im beruflichen Fortkommen“, 4seitige in Hellgrün zu „Schaden an Vermögen“ und 8seitige in Rosa zu „Schaden an Leben“. In der Akte zu Selda sind zwei 2 Formulare in Hellgelb zu „Schaden an Freiheit und Rosa zu „Schaden an Leben“ enthalten.


Nach dem Eingang der Anträge kommen Nachfragen durch die E.B. - z.B. vom 12.8.1959 - zu fehlenden Dokumenten zum Antrag, z.B. zur Mutter Selda. Esther Clifford antwortet am 24.9.1959, dass sie diese Dokumente bereits in ihrem Antrag zu Abraham Ebe beigefügt habe. U.a. wird später auch ein Erbschein„von der deportierten und wahrscheinlich ermordeten“ Mutter Selda verlangt. Aus ihm geht hervor, dass diese ihr Erbe – die Entschädigung - jeweils zu 1/3 an ihre drei Töchter – Regina, Mary und Esther – vererbt habe.(Schreiben vom Amtsgericht, Abt. 41 Wiesbaden, vom 4.9.1959 in Akte HHStAW 518, 55559 Selda Ebe.) Die Behörden fordern des weiteren:


„Ich bitte ferner darauf zu achten, dass in der Erbscheinverhandlung angegeben und eidesstattlich versichert wird, ob die beiden deportierten Geschwister verheiratet waren und Kinder hatten.“ (gez. Knapp, Amtsgericht , beglaubigt Rettert, Justizangestellte in  Akte HHStAW 518, 55559 Selda Ebe.)


Wie aus diesem Schreiben ersichtlich, fordert die Behörde nicht nur (scheinbar) fehlende Unterlagen zur Mutter, sondern auch zu den deportierten Geschwistern.


Die Schwestern erleben, wie aufwendig es ist, diese Dokumente zu bekommen. Einerseits werden die Antragstellerinnen zeitweise gedrängt, die erforderlichen Dokumente schneller zu besorgen. So finden wir in den Akten drängende Mahnungen von Seiten der Behörden. Andererseits entsteht der Eindruck, dass z.B. bei der Ausstellung der Erbscheine für Abraham und Selda Verschleppungen auf Seiten der Behörden vorliegen.  Auf eine Mahnung antwortet Esther Clifford am 17. Sept. 1958, dass sie “bereits im Juni 1957 Erbscheinverhandlungen vor dem Deutschen Generalkonsulat in New York geführt“, am 8.7.1957 diese übersandt habe. Eine erneute Mahnung erreicht sie am 24.10.1958; sie antwortet darauf erneut am 21.11.1958, dass die Dokumente doch schon lange der Behörde vorlägen. - Vieles dauert sehr lange. Die Anfrage durch Esther zum Tode der „Deportierten“ in Arolsen (ITS Internationaler Suchdienst)  ist am 23.5.1957 gestellt; die Antwort aus Arolsen trifft am 12.12. 1957 ein! - Auch weisen Bescheide, so fällt bei der Durchsicht der Akten auf, Schlampereien auf, dass die Mutter Selda, als „Golda“ Ebe bezeichnet wird (Akte HHStAW 518, 48917, S. 3); ein Fehler, der sich durch die Schriftsätze zieht. An anderer Stelle wird als Datum der Antragstellung der „10.6.1957“ genannt (in Akte HHStAW 518, 55557, Leo Ebe, Ablehnung vom 15.3.1963), obwohl es der 08.07.1957 war.


Esther geht davon aus, dass sie den Antrag auf Entschädigung für alle vier ermordeten Familienangehörigen gemeinsam gestellt hat. Sie ist ja auch in ständigem brieflichen Kontakt mit den Behörden. In der Korrespondenz wurde sie mehrfach nach Unterlagen zu den Geschwistern und der Mutter gefragt. Wieso hat man sie nicht auf den Fehler aufmerksam gemacht? Sie hat – so erfährt sie später aus dem Bescheid der E.B. zu Leo vom 15.3.63 – „für die Eltern zwei getrennte Anträge eingebracht“ (Schreiben der E.B. vom 15.3.63 in Akte HHStAW 518, 55557) – nicht jedoch eigene Anträge für die Geschwister, auch wenn im Erstantrag vom 08. Juli 1957 ausdrücklich von ihr und Regina erklärt wird, dass Rosa und Leo mit den Eltern gemeinsam nach Polen deportiert wurden.


Wir werden weiter unten sehen, dass die Entschädigungsanträge zu den Geschwistern Rosa und Leo auf „Schaden im beruflichen Fortkommen bzw. Ausbildungsschaden“ erst nach einer erneuten Antragstellung in 1963 und in den Jahren danach bearbeitet werden. Bis zum endgültigen Abschluss der Entschädigungsansprüche zieht es sich bis ins Jahr 1971 hin.


Die Bescheide 1960/61


Die Bescheide über Entschädigung bezogen auf Schaden an Leben, Freiheit, Eigentum, Vermögen und beruflichem und wirtschaftlichem Fortkommen zu Abraham Ebe gehen am 17.11.1961, 28.1.1960, 27.9.1961, 13.6.1961 und am 12.5.1961 ein. Letztlich wird eine Entschädigung wegen „Schaden an Freiheit“ und „Schaden an beruflichem Fortkommen“ bewilligt. Der Bescheid ist in der Akte abgebildet.


Datum    Blattzahl    Art des Bescheides    Erhaltener Betrag    MdF/GFD

28.1.60    47    Freiheitsschaden    6150,--    

12.5.61    73    Berufsschaden     5709,--    

13.6.61    86    Vermögensschaden (good will)    Ablehnung    

27.9.61    95    Eigentumsschaden    Ablehnung    

17.11.61    99    Lebensschaden    Ablehnung    



Sehen wir uns die Entschädigungsverhandlungen zu Abraham Ebe im einzelnen an.


„Schaden an Leben“


Kriterium: „Wenn der Verfolgte durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen getötet oder an den Folgen solcher Maßnahmen verstorben ist“.


Belege von Esther:


Esther schickt ein Einschreiben vom 18.3.1958 an die Behörde: „Betr.: Entschädigungsantrag vom 8.7.1957 als Miterbin nach meinem verstorbenen Vater Abraham Ebe zu „Schaden an Leben“, übersende ich Ihnen anliegend das Formular A, ausgefüllt und unterschrieben und bitte um Gewährung einer Waisenrente.“ Im 8seitigen Formular stellt sie den Antrag als Tochter, Vollwaise, geb. am 5.12.1920 in München, legt ihre Geburtsurkunde bei. Antragsberechtigt sind nur Kinder, die sich „über das 16. Lebensjahr hinaus in Schul- und Berufsausbildung“ befinden. Esther hat bis Anfang 1940 in der Firma M. Salomon-Stammhalter /Ffm.Main, Zeil Nr. 15 – als sie gezwungen war, die Schule zu verlassen - eine Ausbildung angefangen. Sie fügt hinzu: „Nachweise über unterbrochene Lehre liegt bei den Akten… zu Ausbildungsschaden“. - In ihrem Schreiben an die E.B. vom 26.8.1961 heißt es: „Den Antrag auf Gewährung einer Waisenrente habe ich nur für mich gestellt, weil ich im Zeitpunkt der Verfolgung meiner Eltern am 29. Oktober 1938 mich noch in der Berufsausbildung befand und über kein eigenes Einkommen verfügte. - Ich war auf die Unterstützung durch meine Eltern angewiesen und geriet in eine verzweifelte Notlage, als mir meine Ernährer genommen wurden. - Ich war großen Entbehrungen ausgesetzt und musste die Hilfe mitleidiger Menschen in Anspruch nehmen, um mein Leben zu fristen. Ich erlitt bittere Not in all diesen Jahren. Ich glaube daher, Anspruch auf diese Entschädigung seit 29.10.1938 bis zu meiner Verheiratung am 2.4.1942 zumindest aus Billigkeitsgründen zu haben und bitte höflichst, meinem Antrag stattgeben zu wollen.“ (Schreiben von Esther Clifford vom 26.8.1961 in Akte HHStAW 518, 55556 Abraham Ebe.)


Regina  fügt sie den Nachweis über den Tod dazu. „Meine Nachforschungen nach ihnen durch den Internationalen Suchdienst in Arolsen und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V. Frankfurt a/M., Hebelstr. 17 waren ergebnislos.“( Eidesstattliche Erklärung Regina Rosenthal/Paris vom Dezember 1958 in Akte HHStAW 518, 55556 Abraham Ebe.)


Bereits in einem Schreiben durch die E.B. vom 19.7.1961 an Esther kommt eine Nachfrage, ob Sie Ihren Antrag aufrechterhalten will, da sie und ihre Schwestern zum Todestag Ihres Vaters (8.5.1945) bereits über 25 Jahre gewesen seien. Da „Entschädigung für Schaden am Leben für Kinder nur für die Zeit besteht, in der für sie nach Beamtenrecht Kinderzuschläge gewährt werden können“, heißt es bereits im Schreiben vom 12.9.1961 an sie:“Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass Sie keinen Anspruch auf Waisenrente nach den Eltern haben. Anspruch auf Waisenrente besteht nämlich erst ab dem Todeszeitpunkt des Verfolgten. Da sie sich, wie sich aus den Akten ergibt, bereits im Jahre 1942 verheiratet haben, der Tod Ihrer Eltern nach diesem Zeitpunkt eingetreten ist, steht Ihnen (…) kein Waisengeld zu.“


Bescheid: Am 17.11.61 wird die Klage - nach einem Schriftverkehr über 99 „Blattzahl“ – auf  Entschädigung zu „Lebensschaden“ abgelehnt. Die Begründung ist, dass Esther zum Zeitpunkt des Todes der Eltern schon verheiratet war.


„Schaden an Freiheit“


Die Verhandlungen über „Schaden an Freiheit“ zu Abraham und Selda Ebe nehmen viel Raum ein.


Die E.B. fordert zunächst von den Klägerinnen:


a) Deportationsbescheinigungen beider Erblasser

b) Heiratsurkunde Erblasser

c) Geburtsurkunden der 5 Kinder

d) Deportationsbescheinigungen betr. Rosa und Leo (Zeichen für verstorben). (Schreiben vom Amtsgericht, Abt. 41 Wiesbaden, 4.9.1959 in Akte HHStW 518, 55559 Selda Ebe.)

Die Schwestern müssen der Behörde nachweisen, das ihre Angehörigen deportiert und ermordet worden sind. Begriffe wie „Tötungsklärungsverfahren“ bzw. „Todesvermutung“ werden verwandt. Verlangt werden Todesnachweise, um eine Entschädigung festzulegen.


Zunächst muss die Deportation der Verwandten  am 29.10.1938 belegt werden. Esther Ebe, seit 1942 verheiratete Kleczewski, später umbenannt in Clifford, hat die Deportation selbst miterlebt. Dazu ihre eidesstattliche Erklärung:


„Auf Grund eines Ausweisungsbefehls des Polizeipräsidiums Frankfurt wurde mein Vater, meine Mutter, meine Schwester Rosa, mein Bruder und ich selbst am 29.10.1938 nach Polen abgeschoben. (Da ich wegen Minderjährigkeit noch keinen Pass besaß, wurde ich nicht über die Grenze gelassen und wieder nach Frankfurt zurückgeschickt.) Nach einem kurzen Aufenthalt im Flüchtlingslager Zbączyń (Bentschen) begaben sich meine Eltern, meine beiden Geschwister nach Warschau, wo sie anfangs bei Verwandten wohnten. Später wurden sie alle ins Ghetto zu Warschau überführt, aus dem ich noch bis Juli 1942 durch Vermittlung eines Vetters in der Schweiz Nachrichten von meinen Angehörigen erhielt. Dann hörte jede Verbindung auf.“(Eidesstattliche Erklärung Esther Clifford vom 13.06.1957 S.13, in Akte HHStAW 518, 55556 Abraham Ebe.)



Fragen zum Verbleib der Verwandten werden an den Internationalen Suchdienst des Roten Kreuz in Arolsen/Waldeck gestellt. Die Antwort an Esther Clifford vom 12.12.1957 lautet:


„Sehr geehrte Frau Clifford,


Wir bedauern Ihnen mitteilen zu müssen, dass beim ISD über die Inhaftierung der oben genannten Person keine Unterlagen vorhanden sind. Wir empfehlen Ihnen sich die Beweismittel aus anderen Quellen zu beschaffen und bemerken hierzu, dass unsere Unterlagen unvollständig sind. Unser Archiv ergänzt sich laufend. Sollten wir für Ihren Fall neue Unterlagen erhalten, werden wir Sie unverzüglich benachrichtigen. Ein Todesnachweis liegt nicht vor. Wir sind daher nicht in der Lage, die Ausstellung einer Sterbeurkunde zu veranlassen.


Hochachtungsvoll i.A. G. Pechar


(abgestempelt JAN 6 1958)“



Auf allen vier Akten der Ermordeten wird der 08.05.1945 als Zeitpunkt des Todes geführt: das Kriegsende, eine vom„Amtsgericht Wiesbaden in dem Erbscheinverfahren von der auf § 180 BEG gestützte Vermutung“. (Bescheid „Freiheitsschaden“ vom 29. Januar 1960 in Akte HHStAW 518, 55556 Abraham Ebe.) Er muss präzisiert werden,um zu berechnen, wie lange sie unter Freiheitsberaubung haben leben müssen. Als „Wohnsitz oder dauernder Aufenthalt bei Beginn der Freiheitsentziehung oder der Freiheitsbeschränkung wird Falenica bei Warschau Ul. Wiesjki. 11/Kreis Warschau, Polen ab dem 12.2.40 im Ghetto“ genannt. Als Beginn des Entschädigungszeitraum wird letztendlich der 19.2.1940 angesetzt, der Tag, ab dem das Tragen des Judensterns in den Ghettos verpflichtend war. Dies bezieht sich auf die Antwort der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V. Frankfurt am Main, Hebelstr. 17.


Die Zentralwohlfahrtsstelle “teilte auf Anfrage mit, dass die Verfügung für alle Juden im Ghetto zu leben, kurz nach dem Einmarsch der deutschen Truppen erlassen wurde und dass ab 19.2.1940 die Verpflichtung zum Tragen des Judensterns bestand. Ferner, dass die Zerstörung des Warschauer Ghettos im April 1943 bis Anfang Mai 1943 stattgefunden hat.“ (Eidesstattliche Erklärung Esther Clifford vom 13.6.1957, S. 13  in Akte HHStAW 518, 55556 Abraham Ebe.)


Regina Rosenthal schreibt dazu:


„Wir haben im Mai 1941 einen von meinen Eltern und meinen Geschwistern unterschriebenen Brief  über das intern. Rote Kreuz erhalten, in dem diese uns mitteilen, dass bei ihnen alles in Ordnung sei. Im Jahre 1942 habe ich über einen Bekannten, der in der Schweiz lebte, noch einmal an die angegebene Adresse schreiben lassen. Der Brief ist zurückgekommen mit der Bemerkung „Empfänger unbekannt verzogen“, so dass anzunehmen ist, dass meine Familie zwischen dem 13. August 1941 und der Mitte des Jahres 1942 deportiert wurde und in der Deportation umgebracht wurde.“ (Eidesstattliche Erklärung Regina Rosenthal in Akte HHStAW 518, 55556 Abraham Ebe.)


Die Karten vom 19. Mai 1941, 13. August 1941 und die Militärpostkarte vom 07.09.42 von Josef Nasilewicz aus dem Internierungslager Pollegio/Schweiz, Tessin werden als Beweismittel der Antragstellung beigefügt.


Die Bescheide zu Abraham und Selda Ebe zu „Freiheitsschaden“ vom 29. Januar 1960 werden am selben Tag verfaßt, sie nehmen gegenseitig auf die Akten – Reg. Nr. 48917 und Reg. 48916 – Bezug und argumentieren inhaltlich und im Wortlaut identisch, entsprechend nach Geschlecht differenziert.


„Aufgrund der eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerinnen und der Unbedenklichkeitsbescheinigung der Stadt Frankfurt a./M. wird es als glaubhaft angesehen, dass sie - Abraham und Selda - 1938 nach Polen ausgewiesen worden sind. Aufgrund der Erfahrungen der Entschädigungsbehörde in anderen gleichgelagerten Fällen bestehen auch keine Bedenken, dass Abraham und Selda Ebe in einem der auf 1939 folgenden Jahre in das Ghetto von Warschau gekommen seien und dass sie in Warschau vom 19.2.1940 an den Judenstern getragen haben. “Eine solche Freiheitsbeschränkung war für das „Generalgouvernement“ durch Verordnung vom 23.11.1939 allgemein angeordnet.“ (...)


„Das Ghetto von Warschau hat von Oktober 1940 bis zur Liquidation im Juli 1943 bestanden. Die Entschädigungsbehörde ist der Überzeugung, dass der Verfolgte die Liquidation, die nach dem Aufstand mit der „Vernichtungsaktion“ Mitte Mai 1943 begann, nicht überlebt hat, so dass die Freiheitsentziehung im Juli 1943 beendet war. (Anm: Vom Warschauer Ghetto wurden circa 220.000 Menschen ins Vernichtungslager Treblinka deportiert.)… Diese Überzeugung gründet sich auf die überlieferten Berichte über die Vernichtungsaktion und die Erfahrungen der Entschädigungsbehörde in anderen gleichgelagerten Fällen sowie auf die Tatsache, dass der Verfolgte 1943 bereits im 60. Lebensjahr stand und damit für einen Arbeitseinsatz kaum mehr in Betracht kam, so dass ein Weitertransport in ein Konzentrationslager ausgeschlossen erscheint. Dies findet die Bestätigung auch darin, dass dem Internationalen Suchdienst Arolsen keine Unterlagen über die Inhaftierung der Verfolgten im KZ vorliegen und dass die Antragstellerin seit 1942 ein Lebenszeichen ihrer Mutter nicht mehr erreicht hat.“ (Siehe Begründung in Akte HHStAW, 558, 55559 Selda Ebe.)


Dem gemäß erstreckt sich der Entschädigungszeitraum vom 19.2.1940 bis 31.7.1943 somit auf 3 Jahre und 5 volle Monate. Da gemäß § 45 BEG  für jeden vollen Monat der Freiheitsbeschränkung und Freiheitsentziehung DM 150,-- zu zahlen sind, beträgt die an die Erbengemeinschaft zu zahlende Entschädigung DM 6.150,--. Die Kostenentscheidung beruht auf § 207 BEG.)“- „Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.“ (Schreiben vom Regierungspräsidenten vom 29. Januar, S. 4., In Akte HHStAW, 518, 5559 Selda Ebe.)



„Schaden an Eigentum“


Esther schreibt zum Antrag: “Bei der plötzlichen Ausweisung am 29.10.1938 in Stich gelassen, dann später beschlagnahmt“ und verweist auf  ihre eidesstattliche Erklärung „Schilderung der Verfolgung für meinen Vater, Abraham Ebe“ im Antrag vom Juni 1957.


Die Wohnungseinrichtung der Familie - Möbel und weitere Gegenstände -, auch das Werkzeug des Vaters, wird bei der Abschiebung am 29. 10.1938 nach Polen in Frankfurt zurückgelassen.


„Bei der plötzlichen Abschiebung nach Polen (…) wurde meinen Eltern keine Zeit gelassen, ihre Wohnungseinrichtung, bestehend aus 4 Zimmern und einer Handwerksstube, zu liquidieren, sondern sie mussten sie im Stich lassen. Als ich dann im November 1938 allein wieder nach Frankfurt zurückkehrte, fand ich die Wohnungseinrichtung noch vor und ging daran sie aufzulösen. Ich verpackte Gebrauchsgegenstände in 5 Kisten (worüber Abschriften der s. Zt. Aufgestellten Verzeichnisse hier beigefügt sind) und stellte sie beim Spediteur Anton C. Kiel, Frankfurt am Main, Gartenstr. 15 unter in der Absicht, sie später meinen Eltern nachzuschicken. - Hingegen wollte ich die Möbel und Einrichtungsgegenstände unserer Wohnung an Ort und Stelle verkaufen, da ich Geld zum Leben brauchte. Als jedoch die Behörden von meinem Vorhaben erfuhren, riefen sie mich zu sich und zwangen mich, eine Erklärung zu unterschreiben, dass ich die Wohnungseinrichtung freiwillig abtrete.- Die 5 Kisten Umzugsgut sind laut Mitteilung des Spediteurs vom 11.6.1952 durch Kriegseinwirkungen verloren gegangen. (Beglaubigte Fotokopie dieser  Mitteilung ist beigefügt.)“ (in  Akte HHStAW 518, 55556)


Auch Entschädigung für das Werkzeug des Vaters wird von Esther gefordert :



Vollständiges Portofeuille Werkzeug von 1921                                  RM 200,--


Zickzackmaschine von 1922                                                                           RM 200,--


Druckmaschine von 1922                                                                                 RM 100,--


Dreifuss von 1922                                                                                                 RM    20,--


Portofeuillemaschine (gekauft 1924)                                                        RM 300,--




Obwohl  keine Entschädigung dafür von Esther gefordert wird, muss erwähnt werden, dass Willy (Chil) und Regina Rosenthal im Mai 1933, als sie nach Frankreich flüchteten, einen Teil der Möbel und des Warenlagers ihres Textilgeschäfts in der Wohnung bei Abraham Ebe, Lenaustrasse 93 in Frankfurt unterstellten. Dies geht aus einem Schreiben von Willy (Chil) Rosenthal hervor. Also auch diese Gegenstände wurden konfisziert.


„Der bei meinen Schwiegereltern zurückgelassene Teil meines Eigentums ist dann offenbar, nachdem meine Schwiegereltern 1938 ausgewiesen und nach Polen abgeschoben worden waren, verloren gegangen. Ich habe über diese Sachen nie wieder etwas gehört. Der Wert dieser zurückgelassenen Sachen mag zwischen 5 und 7000 RM gelegen haben. Die Höhe meiner zurückgelassenen Außenstände kann ich nicht mehr angeben.“ (Eidesstattliche Erklärung Willy Rosenthal vom 21. Januar 1957.)


Bescheid: Am 27.9.61 wird nach einem Schriftverkehr von 95 Blattzahl der Antrag auf Eigentumsschaden abgelehnt.



„Schaden an Vermögen“


Im Antrag schreibt Esther: „Betr. Erstantrag vom 8.7.1957 melde ich als Miterbin nach meinem verstorbenen Vater Abraham Ebe zum „Schaden an Vermögen“ hiermit den „good will“ Anspruch an.


Bescheid: Am 13.6.61 wird der Antrag auf Entschädigung von „Schaden an Vermögen“ nach einem Schriftverkehr von 86 Blattzahl abgelehnt. Begründung: „Sie begehren Entschädigung wegen Schadens an Vermögen, der ihrem Vater durch Verlust des Geschäftswertes (good will) infolge der durch NS-Maßnahmen erzwungenen Liquidierung seines Geschäfts entstanden sei….“ (Bescheid vom E.S. vom 27.9.1961) Die „Entschädigung kann nur dann zuerkannt werden, wenn das Unternehmen über die Substanzwerte hinaus einen wirtschaftlichen Wert hatte, der durch Verfolgungsmaßnahmen verloren gegangen ist.“ Mit Bezug auf die Entscheidungen zu „Schaden an Freiheit“ vom 28.1.1960 und „Schaden an beruflichem Fortkommen“ vom 12.5.1961 argumentiert die E.B., daß „das Unternehmen demnach keinen über den Wert der Substanz und der Arbeitskraft hinausgehenden wirtschaftlichen Wert (good will)“habe.



„Schaden im beruflichen Fortkommen“


Die Erlasse nach der Machtübernahme verbaten Abraham Ebe seinem Beruf als Sattler und Portofeuiller nachzugehen. Jährlich musste er eine Erlaubnis beantragen. Ab 1936 wurde sie ihm verweigert. Fortan musste er heimlich arbeiten: „1936 musste mein Vater sein Geschäft wegen des Boykotts gegen jüdische Geschäfte aufgeben.“ (Eidesstattliche Erklärung Regina Rosenthal/Paris vom Dezember 1958 in Akte HHStAW 518, 55556 Abraham Ebe.) Ein Schreiben vom Magistrat vom 4.5.1961 an die E.B. von Stadtoberinspektor Roßwein bescheinigt, dass die Karteikarte von 1924 bis 1937 geführt wurde, sowie: „Betrieb eingestellt bzw. abgemeldet am 23.6.1937“.


Als Angabe steht im Antragsformular: „ab 1.1.36 nur noch 3.000,- RM durchschnittlich jährlich schätzungsweise verdient bis zur Verdrängung aus der Erwerbstätigkeit am 29.10.1938, dann ohne Einkommen.“


Zur Berechnung des Einkommens von Abraham Ebe trägt die eidesstattliche Erklärung von Ernest I. Erbesfeld vom 15.06.1957, New York, bei.


„Ich stand mit Herrn Abraham Ebe in geschäftlicher Verbindung. Er besaß in Frankfurt am Main, Lenaustrasse ein offenes Ladengeschäft für Lederwaren mit anschließender Werkstatt. Er erzeugte unter anderem auch Handtaschen, womit er auch meine Firma I.&E. Erbesfeld, Lederwarenfabrikation, Frankfurt am Main, Zeil, in den Jahren 1934-1936 belieferte. Als er 1936 wegen des Boykotts gegen jüdische Geschäfte seinen Laden aufgeben musste, richtete er sich in seiner Wohnung Hanauer Landstraße eine Werkstatt ein und verrichtete Heimarbeit bis zu seiner Ausweisung (...). - Zugleich mit mir wurde er am 29.10.1938 nach Polen ausgewiesen und abgeschoben, wo ich mit ihm bis 1939 in Warschau in Verbindung stand. Im Jahre 1939 wanderte ich von Warschau nach Amerika aus und verlor dann jeden Kontakt mit Herrn Ebe. - Bis 1936 hatte Herr Ebe ein  gutgehendes Geschäft. Sein damaliges Einkommen schätze ich auf mindestens RM 6000,-- jährlich, während er mit der Heimarbeit von 1936-1938 kaum noch die Hälfte verdient haben dürfte.“ (Eidesstattliche Erklärung Ernest I. Erbesfeld vom 15.06.1957/Stempel 21.6.1957, S.14 in Akte HHStAW 518, 55556 Abraham Ebe.)


Verlangt wird von den Schwestern eine „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ vom Finanzamt Frankfurt/Stiftstr. vom 27. März 1939,  d.h. ein Nachweis der gezahlten Steuern von Abraham Ebe, Hanauer Landstr. 27, zur Ermittlung des Jahreseinkommens. Die Bitte um den Nachweis der gezahlten Steuern kann nicht beantwortet werden. Ein Antwortschreiben an den Regierungspräsident in Wiesbaden vom 8. Mai 1961 lautet: „Entschädigungssache nach Abraham Ebe, geb. 10. April 1884, letzter Wohnsitz: Ffm, Hanauer Landstr. 27 vom 21.4.1961: “... dass durch „Kriegseinwirkung sämtliche Gewerbesteuerakten vernichtet wurden“. Es existiert lediglich noch eine unvollständige Kartei, die während des Krieges ausgelagert war.


Am 12.5.1961 wird die Klage auf „Schaden im beruflichen Fortkommen“ (§§65-125) („Berufsschaden“) nach einem Schriftverkehr von 73 Blattzahl mit einer Entschädigung von 5709,-- DM bewilligt.Die Berechnung der Entschädigung richtet sich nach der Besoldungsgruppe eines Beamten mittleren Dienstes.


„Der Antrag ist form- und fristgerecht gestellt. Der Regierungspräsident – Entschädigungsbehörde – in Wiesbaden ist örtlich zuständig (§ 185 BEG, §§ 1,2 HZYO). Der Antrag ist in der zuerkannten Höhe auchbegründet. Der Erblasser ist als Verfolgter im Sinne des § 1 BEG anzusehen. Sein Anspruch auf Entschädigung wegen Schadens im beruflichen Fortkommen nach den §§ 64 ff. BEG ist gemäß § 140 Abs. 1 BEG auf die Antragsteller als seine Erben übergegangen.


Auf Grund der Auskunft der Steuerverwaltung der Stadt Frankfurt /Main und des glaubhaften Sachvortrages steht fest, dass der Verfolgte von 1924 an bis zum 23.6.1937 eine selbständige Berufstätigkeit, hauptsächlich durch Herstellung und Vertrieb von Lederwaren ausgeübt hat. Gemäß § 64 Abs. 2 BEG ist zu vermuten, dass er seine Berufsstellung wegen seiner jüdischen Glaubenszugehörigkeit aufgeben musste. Darüber hinaus bestehen keine Bedenken, dem Sachvortrag auch darin zu folgen, dass der Verfolgte bereits seit Anfang 1936 zu durchschnittlich 50 % in seiner Erwerbstätigkeit beschränkt war; denn eine solche Berufsbeschränkung ist in dieser Zeit nach den Erfahrungen infolge der Boykottmaßnahmen gegen alle jüdischen Glaubensangehörigen allgemein eingetreten.


Die Berechnung der Kapitalentschädigung ist nach den Vorschriften der §§ 75 ff. BEG in Verbindung mit der 3. DVO/BEG in der Fassung des 2. Änderungsgesetzes vom 25.2.1960 vorzunehmen. Gemäß § 76 BEG ist der Verfolgte seiner wirtschaftlichen Stellung und Berufsausbildung, von der Besonderheiten nicht bekannt sind, nach in den Besoldungsgruppe eines Beamten mittleren Dienstes einzustufen.


„Da amtliche Unterlagen über das für die Einstufung massgebliche Einkommen in den drei letzten Jahren vor Beginn der Verfolgung nicht vorliegen, war die Entschädigungsbehörde berechtigt und gehalten, das Einkommen in Anwendung der §§ 191 Abs. 2, 176 Abs. 2 BEG zu schätzen und für festgestellt zu erachten. Sie kam hierbei unter Berücksichtigung der Gesamtumstände, insbesondere der langen Dauer der Berufstätigkeit und der Erfahrungen in anderen gleichgelagerten Fällen zu dem Ergebnis, dass der Erblasser das für eine Einstufung in den mittleren Dienst erforderliche Einkommen von 4.300.-- RM jährlich, nicht aber das für eine höhere Einstufung von 6.600.-- RM jährlich erreicht hat. Der Entschädigungszeitraum beginnt mit der 50 % igen Berufsbeschränkung am 1.1.1936 und der Berufsverdrängung am 1.6. 1937, da anzunehmen ist, dass der Verfolgte schon in den Wochen vor der formellen Betriebseinstellung am 23.6.1937 so gut wie nichts mehr verdient hat. Die von der Auskunft der Steuerverwaltung abweichenden Angaben der Antragsteller beruhen offensichtlich auf einem Irrtum oder Erinnerungsfehler, der infolge der langen Zeitspanne verständlich ist.


Der Entschädigungszeitraum endet am 31.7.1943, dem wahrscheinlichen Todestag des Verfolgten. Dabei ist die Entschädigungsbehörde ebenso wie bei der Entscheidung über den Freiheitsschaden davon ausgegangen, dass das Ghetto von Warschau nur bis zu seiner Liquidation im Juni 1943 bestanden hat und dass der Verfolgte die „Vernichtungsaktion“ nicht überlebt haben kann. Auf die nähere Begründung in dem Bescheid über den Freiheitsschaden vom 28.1.1960, die voll inhaltlich auch hier Gültigkeit hat, wird im übrigen verwiesen.


Die Kapitalentschädigung ist zu berechnen auf der Grundlage der Besoldung eines Beamten des mittleren Dienstes. Sie beträgt unter Berücksichtigung des Lebensalters des Verfolgten im Zeitpunkt des Beginns der Schädigung (1.1.1936=51 Jahre) samt 20 % für fehlende Altersversorgung jährlich 4.152.- oder monatlich 346.- RM.


Für die Zeit der Berufsbeschränkung vom 1.1.1936 – 31.5.1937 mithin für 1 Jahr und 5 Monate (17 Monate) beträgt die Kapitalentschädigung 50 % von 5.882,--  2.941,--RM


Für die Zeit der Berufsverdrängung vom 1.6.37 bis zum 31.7.1943,


also für 6 Jahre und 2 Monate ergibt sich eine Kapitalentschädigung von     25.604,--RM


insgesamt also       28.545,--RM


Dieser Betrag ist gemäß § 207 207 BEG umzustellen


im Verhältnis 10 : 2 auf      5.709,--DM


und an die Erbengemeinschaft zu gesamten Hand auszuzahlen.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 207 BEG.“


Um die zugesprochene Entschädigung entgegennehmen zu können, muss ein „gemeinsames Ausländerkonto der Erbengemeinschaft“ eingerichtet werden. Auch dazu muss zuvor eine Vollmacht von den Schwestern eingeholt werden. Erst dann erfolgt eine Auszahlungsanordnung durch die E.B., wie z.B. am 21.3.1960, also fast drei Jahre nach Antragstellung.



Neue Entschädigungsverhandlungen ab 1962 bis 1971


Zum Antrag von Esther Clifford vom 08. Juli 1957 gehen zwischen Januar 1960 und November 1961 Bescheide zu  Abraham und Selda ein. Die Schwestern sehen, dass der Antrag auf Entschädigung für die Eltern geprüft wurde, jedoch nicht für die Geschwister. Wieso wurden sie nicht für sie bearbeitet? Hatten die Behörden denn nicht auch Bescheinigungen über die Deportation für Rosa und Leo im Schreiben vom 4.9.1959 verlangt und auch weitere Fragen zu den Geschwistern gestellt? Für beide Geschwister, so erfahren sie später durch die Behörde, hätten eigene Entschädigungsanträge gestellt werden müssen. Wie hätten die Schwestern das ahnen können?Waren sie falsch beraten worden? Es hat gravierende Folgen, denn es heißt, der verzweifelte Kampf um Anerkennung und Entschädigung muss weiter geführt werden. Insgesamt geht es in den nächsten Jahren um die Klärung der Frage, ob Rosa und Leo – wären sie nicht deportiert und umgebracht worden - eine höhere Ausbildung hätten durchlaufen können.Wie ihre Geschwister zuvor, gingen sie bis 1933 in das Philanthropin, die jüdische Schule.- Die Auseinandersetzung um Entschädigung wird sich über Jahre hinziehen. Als Laufzeit der Akte Rosa Ebe (HHStAW 518, 55558) und Leo Ebe (HHStAW 518, 55557)  ist 1962-1970 notiert, als “Erledigt“ wird der 7.3.1963 gestempelt. Letztlich kommt es bei Leo zu einem Vergleich vom 13.10.1970; zu einer Ablehnung zu Rosa vom 24.3.1971.


Nachdem der Antrag auf „Schaden im beruflichen Fortkommen bzw. Ausbildungsschaden“ der Geschwister nicht bearbeitet, da er als nicht gestellt gesehen wurde, übernimmt Regina Rosenthal/Paris, die älteste der Schwestern - mit eidesstattlichen Erklärungen der Schwester Mary Halberstadt und Esther Clifford/ New York - am 14. September 1962 eine „neue“ Antragstellung und ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand  für Rosa und Leo.



In einem Schreiben der E.B. an RA. Zalkind vom 15.10.62 heißt es:


„Der Umstand, dass in den Entschädigungsakten der Antragsteller das Schicksal der Erblasserin bereits erwähnt ist, reicht nicht aus, um daraus eine rechtzeitige Antragstellung herzuleiten. Es hätte zumindest zum Ausdruck gebracht werden müssen, dass auch für die Schaden, die die Erblasserin erlitten hat, Entschädigung verlangt wird. Auch der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stadt kann mit dem vorgenannten Hinweis nicht begründet werden. Ich bitte daher zu prüfen, ob die Antragstellerin andere Gründe für die verspätete Einreichung geltend machen können.“


Zalkind will diese zynische Argumentation nicht akzeptieren. In einem Schreiben vom 27.2.1963 an die E.B. spricht RA Zalkind/ Paris von „Schwierigkeiten oder Mißverständnissen in der Korrespondenz“ zwischen Antragstellerinnen und Behörde. Er bezieht sich auf Regina Rosenthal, die „in der eidesstattlichen Versicherung neben den umgekommenen Eltern ausdrücklich ihre Schwester Rosie Ebe erwähnt hat, deren Verfolgungsvorgang ja der gleiche ist. Sie war also der Meinung, dass sie auch ihre Rechte nach der verstorbenen Schwester Rosie Ebe geltend macht. Sie hätte ja sonst keinen anderen Grund, diese Schwester ausdrücklich zu benennen. Ich glaube also, dass Frau Regina Rosenthal damit klar zum Ausdruck gebracht hat, das sie auch die Rechte nach der verstorbenen Schwester geltend macht. Ich bitte also um Ihr Verständnis zu dieser Frage und bitte Sie, den Wiedereinsetzungsantrag gemäß §§ 189 BEG.“


Ist ein Fehler unterlaufen? RA.Volmer gibt zu bedenken: „Die Deportation und der nachfolgende Tod der Eltern ist in den genannten Akten festgestellt worden. Hinsichtlich der Geschwister bestand bisher keine Veranlassung, Anträge zu stellen, da der Freiheitsschaden sich nicht auf die Geschwister vererbt.“


Sehr rasch - bereits am 11.3.1963 (15.3.1963) werden alle Entschädigungsansprüche und Wiedereinsetzungsanträge in den vorigen Stand für beide Geschwister abgelehnt. Als Begründung heißt es u.a., da sie „nicht rechtzeitig bis zum 1.4.1958“ eingegangen seien, aber auch, da im Antrag um Wiedereinsetzung keine „bestimmten oder bestimmbaren Entschädigungsleistungen für den Erblasser verlangt werden.“ Dies sei für die Gültigkeit eines Antrages erforderlich.


Schauen wir uns auszugsweise den Bescheid zu „Ablehnung Leo Rosenthal“ an.


„Die Antragsteller sind, wie sie vortragen, die Geschwister und Erben des in der Deportation verstorbenen Erblassers, der jüdischer Abstammung war und seinen letzten inländischem Wohnsitz in Frankfurt a.M. hatte Bl. 1)


Am 14.9. 1962 haben die Antragsteller bei Regierungspräsidenten in Wiesbaden beantragt, ihnen für Schaden imberuflichen Fortkommen des Erblassers Entschädigung zuzuerkennen (Bl. 1). Hilfsweise haben sie wegen des verspäteten Eingangs des Antrages um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gebeten (Bl. 1).


Die Antragsteller meinen, der Antrag sei schon im Juli 1957 eingebracht worden.


Zu jener Zeit sei nämlich der Entschädigungsantrag nach ihrem verstorbenen Vater gestellt worden und dort haben die Antragstellerin zu 1.) ausdrücklich erklärt, dass der Erblasser gemeinsam mit den Eltern nach Polen abgeschoben wurde, sie von ihren Familienangehörigen nichts mehr gehört habe und deshalb annehmen müsse, dass alle umgekommen seien. Die Antragsteller seien daher der Meinung, durch diese Schilderung seien auch ausdrücklich die Rechte nach dem Erblasser geltend gemacht.


Die Entschädigungsakten Abraham E b e - 48916 – und Golda E b e (sic!) – 48917 – des Regierungspräsidenten in Wiesbaden wurden beigezogen. Hieraus ergibt sich aus der eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin zu 1.), dass das Schicksal des Erblassers dahingehend beschrieben wurde, dass er zusammen mit seinen Eltern und seiner Schwestern Rosi 1938 nach Polen abgeschoben wurde und vermutlich in Warschau umgekommen sei (Bl. 13 d.A. 48916).



Entscheidungsgründe


Gemäß § 185 Abs. 2 Ziff. 2. BEG. §§ 1 u. 2 HZVO ist der Regierungspräsident in Wiesbaden für die Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch zuständig, denn aus den bei gezogenen Entschädigungsakten der Eltern des Erblassers geht hervor, dass dieser vor seiner Abschiebung nach Polen seinen Wohnsitz in Frankfurt a.M. hatte.


Der Antrag auf Gewährung von Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz ist nicht rechtzeitig– nämlich bis zum 1.4.1958 – eingegangen.


Die bloße Erwähnung des Schicksals des Erblassers in der eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin zu 1.) vom 10.6.1957, die in der Entschädigungssache nach dem verstorbenen Vater der Antragstellerin vorgelegt wurde, ist kein rechtswirksamer Antrag auf Gewährung von Entschädigungsleistungen, denn aus ihr geht nicht hervor, dass irgendwelche bestimmten oder bestimmbaren Entschädigungsleistungen für den Erblasser verlangt werden. Ein solches erkennbares Begehren ist aber für die Gültigkeit eines Antrages erforderlich.


Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht stattgegeben werden.


Nach § 189 Abs. 3 BEG ist, wenn der Antragsteller ohne sein Verschulden verhindert war, die Antragsfrist einzuhalten, ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.


Diese Voraussetzungen treffen für die Antragsteller nicht zu, denn wie festgestellt werden musste, haben sie die Nichteinhaltung der Antragsfrist verschuldet.


Nachdem die Antragstellerin zu 1.) bereits 1957 die Anträge auf Gewährung von Entschädigungsleistungen nach ihren Eltern eingebracht hat, steht fest, dass sie schon vor Ablauf der Antragsfrist mit Entschädigungssachen befasst war.


Sie hätte sich daher in jener Zeit bei der Entschädigungsbehörde darüber erkundigen müssen, ob sie für ihren Bruder nicht einem gesonderten Entschädigungsantrag einbringen muss. Dass eine solche Anfrage in diesem Falle nahe liegt, ergibt sich insbesondere auch daraus, dass die Antragsstellerin zu 1.) für ihre Eltern zwei getrennte Anträge eingebracht hat.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 207 BEG.“


Wie bereits erwähnt, zeigte sich bald, dass die Fristenregelung des BEG – „Antragsfrist für Entschädigungen bis zum 01.10.1957“ – unrealistisch war. Das Gesetz wurde 1965 modifiziert, wodurch nun diesmal Anwalt Dr. Norbert Volmer die Möglichkeit erhält, erneut zu handeln. Im Schreiben vom 29. 9.1966 stellt er einen Neuantrag auf „ererbten Ausbildungsschaden nach §116 BEG neuer Fassung in Verbindung mit § 140 Abs. 1. BEG zu einer Zahlung von DM 10.000,-- für jeweils Rosi/Rosa und Leo Ebe an den Regierungspräsidenten/Wiesbaden.


„In der Entschädigungssache Regina Rosenthal, geb. Ebe (…) nach ihrem Bruder Leo Ebe (…) wird geltend gemacht ererbter Ausbildungsschaden nach §116 BEG, neuer Fassung in Verbindung mit § 140 Abs. 1. BEG, in Höhe von DM 10.000,--. Nach der bisherigen Fassung des § 140 Abs. 3 BEG war der Ausbildungsschaden nicht vererblich, diese bisherige Fassung ist durch das Schlussgesetz gestrichen worden, so dass sich nun die Möglichkeit zur Anmeldung ergibt. (Dr. Volmer (Rechtsanwalt)“ (In Akte HHStAW 518, 55557 Leo Ebe)


Zur “Substantiierung“ des Antrags von Regina Rosenthal zu Leo Ebe reicht RA. Dr. Volmer folgende Unterlagen nach, die am14. März 1967bei der E.B. eingehen. (In Akte HHStAW 518, 55557 Leo Ebe)


„1) eidesstattl. Versicherung der Antragstellerin vom 6. März 1967, aus der ich zu entnehmen bitte, dass der Bruder Leo auf der Philanthropin-Schule in Frankfurt/M. war, die er 1934 ohne Abschluß-Prüfung verlassen musste, so dass er anstelle der von ihm erstrebten Ausbildung als Mediziner eine kaufmännische Tätigkeit aufnehmen musste.


2) Geburtsurkunde des Bruders Leo als Nachweis dafür, dass er gelebt hat.


3) Originalschreiben der Antragstellerin und ihres Ehemannes an ihre nach Polen abgeschobene Familie und deren Antwort vom 13. Aug. 1941.


4) Postkarte des Herrn Josef Nasilowicz vom 7.9.1942, mit dem dieser mitteilte, das seine Versuche, mit der Familie der Anst. in Polen zu korrespondieren, fehlgeschlagen sei und dass seine Briefe zurückgekommen seien mit dem Vermerk: „Empfänger unbekannt verzogen“.


5) Auskunft der Bundesversicherungsanstalt, aus der sich ergibt, dass Herr Leo Ebe vom Jahre 1934 bis 1938 gearbeitet hat und Angestelltenversicherung abgeführt ist.“



Regina Rosenthal schreibt am 6. März 1967 zur Situation der Geschwister:


„Meine Schwester Rosa war ursprünglich in München zur Schule gegangen. Nachdem wir im Jahre 1921 genötigt waren, Bayern zu verlassen, haben wir alle etwa zwei Jahre lang den Schulbesuch versäumt, bis es meinen Eltern gelungen war, in Frankfurt  Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Wir haben alle das Lyzeum Philanthropin in Frankfurt a.M. besucht. Meine Schwester Rosa, welche durch den Wohnsitzwechsel zwei Jahre verloren hatte, befand sich daher im Jahre 1933 noch auf der Schule, da sie ihr Abitur machen wollte. Gleichfalls befand sich mein Bruder Leo, der damals 15 Jahre alt war, auf der Philanthropin-Schule. Beide mussten im Jahre 1934 - ohne Abschlussprüfung - die Schule verlassen, da mein Vater, der Inhaber eines Lederwarengeschäftes war, durch den Boykott finanziell derart ruiniert war, dass er es sich nicht mehr leisten konnte, seine Kinder auf eine höhere Schule zu schicken.“ (Eidesstattliche Erklärung Regina Rosenthal vom 6. März 1967 in Akte HHStAW 518, 55558 Rosa Ebe.)


„Mein Bruder Leo hat daraufhin eine Stellung als kaufmännischer Angestellter angenommen. Dieses war jedoch lediglich ein Ausweichberuf, der in keiner Weise den Hoffnungen entsprach, die er sich gemacht hatte, denn er war ein intelligenter Junge und wollte Medizin studieren. - Meine Schwester Rosa dagegen hat nach dem erzwungenen Abgang von der Schule lediglich meiner Mutter im Haushalt geholfen.“(Eidesstattliche Erklärung Regina Rosenthal vom 6. März 1967 in Akte HHStAW 518, 55558 Rosa Ebe.)


Willy (Chil) Rosenthal, Kaufmann von Beruf, seit 1919 eingebürgert in Preußen, der Ehemann von Regina Rosenthal, Schwager der ermordeten Geschwister, schreibt aus Paris an Rechtsanwalt Dr. Norbert Volmer/Wiesbaden, und versucht die Position der Schwestern zu unterstützen (Akte HHStAW 518, 55557 Leo Ebe):


„Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt,


erlaube ich mir noch auf Folgendes hinzuweisen: Es trifft zu, dass die Antragstellerin zu 1, meine Ehefrau, nur mit einer Reifeprüfung für die Obersekunda von dem Lyzeum abgegangen ist, dagegen die Antragstellerin zu 2, Mary Halberstadt, nach ihrem Schulbesuch des Lyzeums in Fff/main, die Hochschule für Kunstgewerbe (in Offenbach a/Main) vier Jahre lang besucht. Der umgekommene Leo Ebe war, als einziger Sohn von seinen vier Schwestern, ein äußerst begabter Schüler und seine Eltern hatte ihn für ein Studium, meiner Entsinnung nach an der Universität in F(rankfurt)/Main bestimmt. Nur auf Grund der damaligen Verhältnisse, musste er seinen weiteren Schulbesuch unterbrechen und auf ein weiteres Studium verzichten. Vielleicht ist es Ihnen möglich einen besseren Vergleichsvorschlag der E.B. zu erhalten und wäre Ihnen dankbar, wenn diese Sache noch vor den Ferien erledigt werden könnte. Mit vorzüglicher Hochachtung Rosenthal.“ (Akte HHStAW 518, 55557 Leo Ebe)


Ein Begleitschreiben vom 26.2.1967 der ehemaligen Studienrätin Frau Tilly Epstein, Lugano-Viganello, die am Philanthropin in Frankfurt unterrichtete, bestätigt, dass sie Leo als Schüler dieser Institution kannte, auch wenn sie ihn selber nicht unterrichtet hatte. Mit gleichem Datum erklärt sie, dass auch Rosa Ebe bis 1933 Schülerin der Institution gewesen sei. Ebenso werden Schulzeugnisse des Philanthropin für die Jahre 1923/24 bis 1925/26 von den Schwestern besorgt.


Bereits am 5.12.1966 stellt Regina Rosenthal einen Antrag auf Bestätigung der gezahlten Beiträge ihres Bruder Leo Ebe an das Bundesamt für Angestellte in Berlin/Wilmersdorf und leitet das Antwortschreiben mit Datum von 15.12.1966 weiter. Es bestätigt, dass Leo Ebe Beiträge an die BfA von 1934 bis 1938 gezahlt hat.


Die E.B. weist in einem Bescheid vom 20. Mai 1970 den Antrag der Antragstellerinnen nach ihrer Schwester Rosa Ebe nach der „Zuerkennung einer Kapitalentschädigung wegen Schadens in der Ausbildung nach der Erblasserin“ ab. Die E.B. schreibt dazu:


„Mit Bescheid vom 20.5.1970 wurde der Entschädigungsanspruch wegen Ausbildungsschadens nach der ebenfalls in der Deportation umgekommenen Schwester des Erblassers, Rosie Ebe, abgelehnt. Hauptgrund der war, dass der nach den Angaben der Antragstellerinnen im Jahre 1934 erfolgte Schulabgang der Erblasserin Rosie Ebe unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse ihres Vaters nicht auf eine wirtschaftliche Verhältnisse ihrer Eltern zurückgeführt werden konnte.“


Der Brief  des Regierungspräsidenten mit dem Bescheid vom 20. Mai 1970, in dem „die Forderung betr. Entschädigungssachen nach Rosa Ebe (letzte Vorsprache 13.5.1970) leider negativ ausfallen musste“, wendet sich am selben Tag (!!!), mit einem Angebot bezogen auf Leo Ebe an den Anwalt Dr. Volmer:


„Wie Sie aus der Bescheidsbegründung ersehen werden, sind auch die Erfolgsaussichten für den Ausbildungsschaden nach Leo Ebe als ziemlich ungünstig zu beurteilen. Es scheint auch hier ausgeschlossen, dass Leo Ebe das Philanthropin in Frankfurt am M. im Jahre 1934 deshalb verlassen musste, weil sein Vater den weiteren Schulbesuch nicht mehr finanzieren konnte. Da andererseits nicht mit letzter Sicherheit verneint werden kann, dass Leo Ebe im Jahre 1938 aus seiner Berufsausbildung als kaufmännischer Angestellter verdrängt worden ist, obwohl er bereits 1934 seine Stellung als kaufmännischer Angestellter angetreten haben will, bin ich in dieser Sache zu einem Vergleich auf der Grundlage von 5.000.-- DM  bereit. Ich erbitte deshalb Ihre Mitteilung, ob Sie mit dem Vergleichsvorschlag in vorgenannter Höhe einverstanden sind. Gegebenenfalls würde ich Ihnen dann umgehend einen entsprechenden Vergleichsentwurf zur Unterzeichnung zusenden. Mit vorzüglicher Hochachtung.“(Schreiben des Regierungspräsidenten vom 29.5.1970 in Akte HHStAW 518, 55557 Leo Ebe)


Der Vergleichsvorschlag für Leo Ebe wird angenommen und am 13.10.1970 wird zwischen den Antragstellerinnen (vertreten durch Dr. Volmer)  und dem Land Hessen, vertreten durch den Regierungspräsidenten – E.B. – in Darmstadt folgendes beschlossen ( Schreiben des Regierungspräsidenten vom 29.5.1970 in Akte HHStAW 518, 55557 Leo Ebe):




1) eine Kapitalentschädigung in Höhe von                           5.000,-- DM


2) einen Zinszuschlag für die Zeit bis 31.5.1970 in Höhe von     100,-- DM.


So dass ein Gesamtbetrag in Höhe von 5100,-- DM zur Auszahlung an die Erbengemeinschaft zur gesamten Hand gelangt.


Damit sind alle Entschädigungsansprüche wegen Schadens im beruflichen Fortkommen nach dem Erblasser gegen das Land Hessen abgegolten.


Der Vergleich ergeht kostenfrei.“



Datum     Blattzahl    Art des Bescheides    Erhaltener  Betrag           MdF/GFD

13.10.70       43           Ausbildung, Vergleich + Zinsen           5100,--    



Zum Bescheid vom 13. Oktober ist der Aktenvermerk „i.Sa, nach Leo Ebe zum Vergleich“ beigefügt.


„Der Erblasser war  jüdischer Abstammung (Bl. 20. d. A.) und hatte vor der Deportation nach dem Osten im Jahre 1938 seinen letzten Inlandswohnsitz in Frankfurt (Main) (Bl. 1.8. 21. D. A.): 12 d. A. 48 916). Laut Erbschein des Amtsgerichts Wiesbaden vom 10.1.1969 ist der Erblasser von seinen Geschwistern, den Antragstellerinnen zu 1) bis 3) beerbt worden (Bl. 39 d. A.)


Nachdem mit Bescheid vom 7.3.1963 (Bl. 7 a. D.) Anträge auf Entschädigung wegen Schadens im beruflichen Fortkommen nach dem Erblasser und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als verspätet bzw. infolge verschuldeter Fristversäumung abgelehnt worden waren, haben die Antragstellerinnen mit am 30.9.1966 eingegangenen Schreiben gemäß §§ 116, 140 Abs. 1 BEG einen ererbten Ausbildungsschaden nach ihrem Bruder geltend gemacht (Bl. 13 d. A.) und zur Begründung folgendes vorgetragen (Bl. 18, 19, 25 d. A.):


Der Erblasser habe das Philanthropin in Frankfurt (Main) besucht, um dort das Abitur zu machen und um später Medizin zu studieren. Er habe jedoch – ebenso wie seine Schwester Rosie – die Schule 1934 ohne Abschlussprüfung verlassen müssen, da sein Vater, durch NS-Boykottmaßnahmen gegen sein Geschäft finanziell ruiniert, nicht mehr in der Lage gewesen sei, seine Kinder auf die höhere Schule zu schicken. Nach dem erzwungenen Abgang von der Schule habe der Erblasser eine Stellung als kaufmännischer Angestellter angetreten.


Nach Auskunft der BfA hat der Erblasser Beiträge von 1934 bis 1938 entrichtet (Bl. 23, 224 d. A.). Sowohl die Philanthropin Association, Inc. als auch eine frühere Studienrätin des Philanthropin in Frankfurt (Main) haben bestätigt, dass der Erblasser Schüler der vorgenannten Lehranstalt gewesen ist (Bl. 28, 29 d. A.).“


Die Zahlung zu Leo Ebe von 5100,-- DM nach dem Vergleich erfolgt.


Der Kampf um Anerkennung für Rosa geht weiter


Nachdem der Antrag auf Ausbildungsschaden, 31 Seiten, zu Rosa Ebe, erneut zurückgewiesen wird, schreibt Regina Rosenthal für eineerneute Klage zum 31.8.1970 als Begründung an Rechtsanwalt Dr. Volmer, dass jüdische Familien zumindest einem Kind eine höhere Ausbildung zukommen lassen wollen. Ihr Anwalt Dr. Volmer trägt ihr Schreiben folgendermaßen vor:


„Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Verfolgte Rosi Ebe eine ausgesprochen gute Schülerin war, die nur die besten Noten hatte. Das war auch der Grund, warum sie länger als ihre Schwestern zur Schule ging und das Abitur machen wollte. Es ist ja in kinderreichen Familie durchaus üblich, dass das eine Kind mehr und das andere weniger Eignung zum Lernen aufbringt. Frau Rosenthal ist mit der Primarreife abgegangen, weil sie immer überzeugt war, dass sie eines Tages heiraten würde und auch keine besondere Berufung zum Studium in sich verspürte.“


Regina Rosenthal appelliert an die Behörde, sich an die Lebensumstände im nationalsozialistischen Deutschland zurückzuerinnern:


„Meiner Erinnerung nach, hat sie ihren Schulbesuch schon im Jahre 1933 unterbrochen. Sie war von den Boykottmaßnahmen am 1.4.1933 sehr beeindruckt und niedergeschlagen, denn schon im Anfang 1933 begannen in Frankfurt am Main die Ausschreitungen gegen Juden. Sie hat es u.a. mit angesehen, wie eine Kolonne angesehener Geschäftsleute, von bewaffneter SA und SS umgeben, durch die Stadt geführt wurden und beiliegende Aufschriften tragen mussten und dem Spott und Hass der Bevölkerung ausgesetzt waren. Viele von diesen Menschen wurden dann verhaftet. Meine Schwester und wir selbst waren vollkommen decouragiert  und überzeugt, dass ein weiterer Schulbesuch und ein späteres Studium für die Zukunft aussichtslos sein würde. Auch meine eigene Auswanderung im Mai 1933 hatte sie sehr mitgenommen. Sie war eine sehr gute Schülerin und hätte es, wenn sich die Verhältnisse nicht geändert hätten, sehr weit bringen können. Die Studienrätin, die seinerseits die Bescheinigung für uns abgab, kann bekunden, welch gute Schülerin sie war.“


Die Annahme des beklagten Landes, Rosi Ebe könne nur wegen unzureichender Leistungen oder Examensangst abgegangen sein, ist völlig abwegig.“ (Antrag von Dr. Volmer an den Regierungspräsidenten vom 30. September 1966  in Akte HHStAW, 518, 55557 Leo Ebe)



Dr. Volmer wehrt die Begründung der E.B. ab:


„Unrichtig ist auch die Behauptung des beklagten Landes, dass mein Vortrag, der Vater hätte ein Studium seiner Tochter nach 1933 nicht mehr finanzieren können, durch die Erhebung in der Berufsschadenssache des Vaters widerlegt sei. In der Berufsschadenssache des Vaters ist festgestellt, dass der Vater zwischen 1933 und 1936 ganze sage und schreibe RM 6.000,-- jährlich verdient hat und bei einem solchen Einkommen von DM 500,-- monatlich kann man doch wirklich nicht mehrere Kinder ohne Schwierigkeiten noch jahrelang auf die Schule schicken und studieren lassen.


Vor allem verkennt das beklagte Land, in welchem seelischen Zustand sich diese aus Polen stammenden Leute in jenen Monaten befunden haben. Sie waren wenige Jahre vorher aus Polen gekommen, hatten sich zunächst in München niedergelassen und waren von dort ausgewiesen worden. Ein Niederlassungsversuch in Leipzig misslang, und als die Familie sich schließlich in Frankfurt niederließ, hatte Rosi Ebe zwei Schuljahre verloren. Das war der Grund, weshalb sie mit 20 Jahren noch zur Schule ging. - Jüdische Familien polnischen Ursprungs haben in jenen Monaten völlig den Kopf verloren. Dass unter diesen Umständen ein junges Mädchen den Schulbesuch aufgibt, ist völlig verständlich.“ (Schreiben in Akte HHStAW 518, 55558 Rosa Ebe)


Gegen den Bescheid zu „Ausbildungsschaden“ Rosa Ebe auf 10.000 DM wird am 31.8.1970 erneut Klage gegen das Land erhoben mit der Forderung, die Kosten des Verfahrens zu tragen. RA. Dr. Volmer schreibt dazu: 


„Das beklagte Land begründet die Ablehnung damit, dass ein verfolgungsbedingter Schaden nicht vorliegt, da die wirtschaftlichen Verhältnisse des Vaters es zugelassen hatten, die Erblasserin weiterhin die Schule besuchen zu lassen. Es mag dahin gestellt bleiben, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse des Vaters Abraham Ebe eine weitere Ausbildung zugelassen hatten. Jedenfalls war 1934 ersichtlich, dass ein weiterer Besuch der Schule nutzlos war, da keine Aussicht bestand einen entsprechend adäquaten Beruf zu erhalten oder ein Studium durchführen zu können.“


Die Klage vom 31.8.1970 wird jedoch mit Bescheid vom 22.3.1971 durch das Landesgericht, 4. Zivilkammer in Wiesbaden erneut zurückgewiesen. „Die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger zu tragen.“


„Durch Bescheid vom 20.5.1970 hat die Entschädigungsbehörde den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, eine verfolgungsbedingte wirtschaftliche Notlage des Vaters sei nicht der Grund für den Schulabgang der Erblasserin gewesen. Wie sich aus dem Entschädigungsverfahren nach dem Vater Abraham Ebe ergeben, habe der Vater bis 1936 ein gutgehendes Geschäft geführt und in den Jahren 1933 bis 35 ein Einkommen von ca. 6.000 RM jährlich gehabt. Erst 1936 sei der Geschäftsgewinn infolge von Boykottmaßnahmen etwa um die Hälfte zurückgegangen. Die Tatsache, dass auch die ältere Schwester, die Klägerin zu 1), das Philanthropin im Jahre 1926 mit mittlerer Reife verlassen habe, lege die Vermutung nahe, dass auch die Erblasserin nur die mittlerer Reife erstreben sollte. Es stehe daher fest, dass die Erblasserin nicht wegen Unrechtsmaßnahmen des ns. Regimes 1933 oder 1934 von der Schule abgegangen ist.


Gegen diesen ihrem Bevollmächtigen am 30.5.1970 zugestellten Bescheid haben die Klägerinnen am 31.8.1970 Klage erhoben. Sie tragen vor, es könne dahingestellt bleiben, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse des Vaters Abraham Ebe einen weiteren Schulbesuch der Erblasserin zugelassen hätten. Jedenfalls sei 1934 erkennbar gewesen, dass ein weiterer Besuch der Schule nutzlos gewesen wäre, da ein adäquater Beruf oder ein Studium der Erblasserin nicht mehr offen gestanden habe. Die Erblasserin sei von den Boykottmaßnahmen am 1.4.1933 und den Ausschreitungen gegen Juden in Frankfurt/Main sehr beeindruckt und niedergeschlagen gewesen. Sie sei daher überzeugt gewesen, dass ein weiterer Schulbesuch aussichtslos sei. Sie sei im übrigen eine sehr gute Schülerin gewesen.“


„Die Erblasserin hat das Lyzeum des Philanthropin im Jahre 1934 nicht aus wirtschaftlichen Gründen verlassen, jedenfalls nicht wegen eines durch Verfolgungsmaßnahmen hervorgerufenen wirtschaftlichen Abstieges ihres Vaters. Wie im angefochtenen Bescheid zutreffend dargelegt ist, ergibt sich aus dem Entschädigungsverfahren nach dem Vater Abraham E b e (Entschädigungsakten 48 916 des Regierungspräsidenten in Darmstadt), dass dessen Geschäft mit der Herstellung und Vertrieb von Lederwaren erst 1936 zurückging. In den Jahren 1933-1935 belief sich sein Einkommen nach Angaben der Klägerinnen auf ca. 6.000,-- DM. Nach der Aussage des Zeugen Erbesfeld hatte der Vater im Jahre 1934 -1936 ein gutgehendes Geschäft. Ist daher kein Anhaltspunkt dafür gegeben, dass bereits 1933/34 die wirtschaftlichen Verhältnisse des Vaters sich durch Verfolgungsmaßnahmen so verschlechtert hatten, dass die Erblasserin deswegen von der Schule genommen werden musste


Die Erblasserin hat das Lyzeum mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nicht deswegen verlassen, weil sie wegen der einsetzenden Judenverfolgung keine Möglichkeit sah, nach bestandenem Abitur einen adäquaten Beruf zu ergreifen oder ein Studium aufzunehmen. Das Philanthropin war eine jüdische Schule, in der – wie der Kammer aus anderen Entschädigungsverfahren bekannt ist – noch mehrere Jahre nach 1934 das Abitur abgelegt wurde. Nach der eidesstattlichen Versicherung der Klägerinnen zu 1) vom 6.3.1967 hat die Erblasserin nicht einmal den Versuch unternommen, einen anderen Beruf zu ergreifen, sondern hat lediglich ihrer Mutter im Haushalt geholfen. Sie hätte also genauso gut die Schule weiter besuchen können. Das gilt umso mehr, als die Erblasserin nach Darstellung der Klägerinnen eine sehr gute Schülerin war, was einschließt, dass ihr der Schulbesuch Freude machte oder jedenfalls keine Schwierigkeiten bereitete. Die in der Klagebegründung gegebene Darstellung der Gründe des Schulabganges vermag daher ebenfalls nicht zu überzeugen.


Die Erblasserin hat nach Überzeugung der Kammer das Lyzeum nicht aus Verfolgungsgründen verlassen, sondern wegen anderer Umstände, sei es aus schulischen Gründen – schlechte Leistungen, Examensangst – oder aus familiären Gründen – auch die Geschwister haben nur die mittlere Reife erworben. - Es bedarf keiner Feststellung, welcher von Verfolgungsmaßnahmen unabhängiger Grund für den Abgang der Erblasser von der Schule maßgebend war.“


Resümee


Fassen wir die jahrelangen Verhandlungen zwischen den Klägerinnen und der Entschädigungsbehörde zusammen: Die Schwestern argumentieren, dass die Geschwister - Rosa, geb. am 10.08.1914 in Offenbach, Leo, geb. am 07.03. 1918 in Hannover, zum Zeitpunkt der Deportation 24 und 20 Jahre alt -, ohne die Machtergreifung der Nationalsozialisten die höhere Schullaufbahn absolviert und studiert hätten. Sie waren zur Zeit der Machtergreifung erfolgreiche Schüler des Philanthropin in Frankfurt. Bereits die älteren Schwestern Regina und Mary hatten – noch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, und trotz der insgesamt schwierigen Situation für jüdische Zuwanderer aus Polen – diese Schule in Frankfurt besucht und einen mittleren Schulabschluss erreicht. Danach hatte Regina eine Berufsausbildung abgeschlossen, Mary die Kunsthochschule in Offenbach besucht. Wieso hätten die jüngeren Geschwister nicht auch einen höheren Schulabschluss erreichen und studieren können?


Die E.B.streitet die Forderungen zu Rosa und Leo vehement ab. Begründungen für Rosas schulischer und beruflicher Ausbildung werden als „Scheinargumente“ abgetan. Die E.B. spricht sogar von einem „Widerspruch“, da nach den von Ernest I. Erbesfeld gemachten Aussagen das Einkommen der Familie bis Ende 1935 stabil gewesen sei, die Schwestern jedoch argumentierten, dass „der Vater auf Grund der gegen sein Lederwarengeschäft gerichteten NS-Boykottmaßnahmen finanziell nicht mehr in der Lage gewesen sei, seine Kinder auf die höhere Schule zu schicken.“ Die Behörde anerkennt nur wirtschaftliche Gründe, nicht jedoch persönliche, die jüdische Kinder in einer durch Hass geprägten Welt nach der Machtergreifung zwangen, den Besuch der Schule abzubrechen


Die Anträge zu Rosa werden in allen Instanzen abgelehnt. Für Leo wird am 20. Mai 1970 ein Vergleich angeboten, dem selben Tag, an dem der Antrag zu Rosa endgültig abgelehnt wird. Ein Kompromiss? Leo hatte von 1934 bis 1938 als Angestellter  Beiträge an die BfA gezahlt.

Brief von Esther Clifford an die Entschädigungsbehörde in Wiesbaden

Schreiben „Erb-Entschädigungssache“ vom 12.08.1959

Schreiben „Erb-Entschädigungssache“ vom 24.09.1959

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