Nach der Deportation


Was nach der Abschiebung der Familie Ebe nach Polen geschah, beruht auf Kurznachrichten, vermittelt durch das Rote Kreuz. „Nach einem kurzen Aufenthalt im Flüchtlingslager Zbączyń (Bentschen) begaben sich meine Eltern, meine beiden Geschwister nach Warschau, wo sie anfangs bei Verwandten wohnten.“- „Als Wohnsitz oder dauernder Aufenthalt bei Beginn der Freiheitsentziehung oder der Freiheitsbeschränkung“ wird in den Entschädigungsakten „Falenica bei Warschau, Ulica Wiesjka 11/Kreis Warschau, Polen genannt, ein Vorort von Warschau.


Am 01.09.1939 erklärt Deutschland Polen den Krieg. Mit dem 04.09. beginnt der Einmarsch der Deutschen nach Polen. Das „Feindbild des polnischen Staates in der nationalsozialistischen Propaganda (bestand) aus vier Aspekten, nämlich staatlichen, nationalen, rassischen und biologischen.“ Die polnische Bevölkerung hielt man für „rassisch minderwertig“ und „verjudet“.- „Die polnische Überbevölkerung bedrohe das Deutsche Reich mit ihrer Minderwertigkeit.“ Brutales Vorgehen und größte Härte bei der Besetzung waren gefordert. „Zum Zeitpunkt des deutschen Angriffs gab es in Polen ungefähr 3.474.000 Juden, was fast 10 % der Gesamtbevölkerung entsprach. Die erste Terrorwelle vom September/Oktober 1939 galt nicht in erster Linie der jüdischen Bevölkerung, sondern der polnischen Intelligenz. Trotzdem wurden nach Schätzungen allein bis zum Jahreswende 1939 bis zu 7000 Juden Opfer der Einsatzgruppen.“ (https://wikipedia/de Deutsche Besatzung Polens 1939-1945)


Um die jüdische Bevölkerung besser kontrollieren zu können, wurden sie alsbald in den eroberten Städten in Ghettos konzentriert. Im Oberschlesischen Będzin (Landkreis Bendsburg), in dem viele Verwandte der Familie Ebe  in der Gartenstraße 19 lebten, bestand eine große jüdische Gemeinde. Über das, was mit diesen Verwandten der Familie Ebe nach 1939 geschah, liegen ebenfalls keine Nachrichten vor.


Nach und nach wurde die gesamte jüdische Bevölkerung in die Ghettos der größeren Städten konzentriert. Am Ende des Jahres 1941 wurde schließlich beschlossen, die jüdische Bevölkerung noch vor Ort zu vernichten. Das erste Vernichtungslager war Kulmhof, später folgten Belzec (März 1942), Sobibor (Mai 1942), Auschwitz-Birkenau (Juni 1942), Treblinka (Juli 1942) und Majdanek (September 1942). Sechs der sieben Vernichtungslager befanden sich auf polnischem Boden. (https://wikipedia/de Deutsche Besatzung Polens 1939-1945)


Das Warschauer Ghetto bestand vom Oktober 1940 bis Mai 1943. „Bereits am 2. Oktober befahlen die Deutschen allen jüdischen Einwohnern der Stadt innerhalb von sechs Wochen den Umzug in ein Gebiet westlich vom Zentrum. Dort mussten die nichtjüdischen Bewohner ihre Wohnungen verlassen. Das Warschauer Ghetto wurde ab der Nacht vom 15. auf den 16. November 1940 in der Folgezeit mit einer 18 Kilometer lange und 3 Meter hohen Umfassungsmauer abgeriegelt…“ (https://de.wikipedia.org Das Warschauer Ghetto)


Circa 450.000 Jüdinnen und Juden waren hier teilweise interniert. „Das Warschauer Ghetto wurde von den Besatzern wiederholt brutal verkleinert und bei den verbliebenen Ghettobewohnern, die oft den Verlust der gesamten Familie, von Verwandten und Freunden zu beklagen hatten, wuchsen Unsicherheit und Bedrohung von Tag zu Tag.“ (https://de.wikipedia.org:Das Warschauer Ghetto)


Die Mitglieder der Familie Ebe, Bewohner von Falenica, Warschau, kamen bald ins Ghetto. Genaue Daten liegen nicht vor. „Sie wurden alle ins Ghetto in Warschau überführt, aus dem ich noch bis Juli 1942 durch Vermittlung eines Vetters in der Schweiz Nachrichten von meinen Angehörigen erhielt. Dann hörte jede Verbindung auf.“ (Eidesstattliche Erklärung Regina Rosenthal in HHStAW 518, 55556)


Durch diesen Vetter, Josef Nasilewicz im Internierungslager in der Schweiz, erhält Regina von ihren Eltern und Geschwistern Nachrichten. - Zwei Postkarten sind in den Akten aufbewahrt und werden bei den Entschädigungsanträgen als Beweise vorgelegt.


Die erste Karte vom 19. Mai 1941 enthält die Bitte Willy Rosenthal aus Clermont-Ferrand, 13 Boulevard Jean Jauras, Pay-de-Dȏme an die Verwandten, sich über das Rote Kreuz zu melden:


„Warum keine Nachricht. Antwortet sofort durch Rotes Kreuz. Wie geht es Mama, Papa, Rosi, Leo. Bei uns alles in Ordnung und gesund.Willy, Regina, Henri“


Als Empfänger ist Ebe, Ulica Wiejska 11, Falenica, Kreis Warschau genannt. - Auf der Karte steht die Bitte, die Mitteilung an den Antragsteller zurückzusenden.


Die Antwort aus Falenica, datiert vom 13. August 1941, lautet:


“Bei uns alles in Ordnung und gesund. Sehe zu uns über Paris etwas zu senden. Habt ihr zu leben? Antwortet uns sofort. Küsse von Allen„


Auf einer Militärpostkarte antwortet der Cousin Josef Nasilewicz aus dem Internierungslager Pollegio, Kanton Tessin, Schweiz, am 07.09.1942:


„Liebe Regina,


Zum neuen Jahr wünsche alles beste,, möge bald der ersehnte Frieden einkehren und das wir uns in Freude sehen. Heute erhielt ich einen Brief, den ich an Deine Mutter geschrieben habe, retour, mit der Bemerkung „Empfänger verzogen unbekannt“. Bin sehr besorgt um meine Angehörigen, da ich seit 3 Wochen kein Schreiben hatte. Sonst bei mir kein neues. Hoffe dass meine Zeilen Dich bei bester Gesundheit antrifft. Grüße herzlich Josef.


Camp d‘ internement militaire


Biasca Pollegio, Kanton Tessin, Schweiz



„Die „Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, Frankfurt am Main“, teilte auf Anfrage mit, dass die Verfügung für alle Juden im Ghetto zu leben, kurz nach dem Einmarsch der deutschen Truppen erlassen wurde und dass ab 19.02.1940 die Verpflichtung zum Tragen des Judensterns bestand. Ferner, dass die Zerstörung des Warschauer Ghettos im April 1943 bis Anfang Mai 1943 stattgefunden hat.“ (Eidesstattliche Erklärung Regina Rosenthal in HHSt AW 518, 55556)


Über den Verbleib der vier Angehörigen der Familie Ebe ist nichts mehr zu erfahren. Die Auflösung des Warschauer Ghettos wurde systematisch ab Juli 1941 durchgeführt. Entweder sind sie bereits im Warschauer Ghetto umgebracht worden, an Hunger oder an Krankheiten verstorben, oder sie wurden von dort direkt nach Treblinka oder Majdanek transportiert.6 Diese Vernichtungslager wurden ab Ende 1941 errichtet, um die jüdische Bevölkerung direkt vor Ort töten zu können.


Möglich ist auch, dass sie noch bis zum Ende im Ghetto überlebten. „So lebten Anfang 1943 offiziell noch etwas mehr als 40.000 Menschen im Ghetto. Historiker gehen jedoch von weiteren bis zu 30.000 illegalen Ghettobewohnern aus.“


Wann und unter welchen Umständen die vier Angehörigen gestorben oder ermordet worden sind, wird niemals geklärt werden.


In den Akten der Entschädigungsbehörde wird als Beginn der Freiheitsberaubung der Familie Ebe der 19.02.1940 angenommen, denn ab dieser Zeit mussten sie den Judenstern tragen. Als Todeszeitpunkt wird der 31.07.1943 festgelegt: die endgültige Auflösung des Ghettos.


Zu dieser Zeit ist Regina mit ihrer Familie schon seit geraumer Zeit in Frankreich untergetaucht. Dort lebten sie nach kurzen Aufenthalten in Straßburg und Saint-Dié in Clermont-Ferrand unter dem Namen „Robert“. Nachdem die Vichy-Regierung auch dort Jagd auf Juden machte, wurden sie durch den katholischen Pfarrer von Domaize in dem Weiler Bertignac in einem verlassenen Forsthaus versteckt, wo sie unter schlimmsten Bedingungen bis Mitte 1944 August lebten. Ihr kleiner Sohn Hermann wird als „Henri Robert“ von diesem Pfarrer bei einem Bauern namens Guillaumont in Domaize untergebracht. So konnten sie einer Deportation entgehen. (Eidesstattliche Erklärung Willy Rosenthal vom 21. Januar 1957 in Akte Regina Rosenthal HHStAW 518, 89033.) 

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